Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 15

<<<     Liebe überhäufen." Bei diesen Worten zeigte sie auf den Freund des Requêtenmeisters, und die Gräfin lachte. "Nun, meine Dame, wissen Sie endlich den Namen der Unbekannten?" fragte der Baron auf etwas gereizte Art die Gräfin, als diese wieder allein war. "Ja," anwortete Frau von Vaudremont. Es lag dabei in ihren Zügen ebensoviel Schlauheit als Heiterkeit. Das Lächeln, das über ihre Lippen und ihre Wangen Leben verbreitete, der feuchte Glanz ihrer Augen war mit jenen Irrlichtern zu vergleichen, die den verspäteten Wanderer täuschen. Martial glaubte sich noch immer geliebt; er nahm jene kokette Haltung an, in der sich ein Mann so selbstgefällig in der Nähe der von ihm Geliebten wiegt, und sagte mit Geckenhaftigkeit: "Werden Sie mir nicht böse werden, wenn es scheint, als legte ich großen Wert darauf, den Namen der Unbekannten zu erfahren...." "Und werden Sie mir nicht böse werden," versetzte Frau von Vaudremont, "wenn ich Ihnen infolge einer letzten Spur von Liebe den Namen nicht sage und Ihnen zugleich verbiete, die geringste Annäherung an jene junge Dame zu wagen? Sie könnten vielleicht Ihr Leben aufs Spiel setzen." "Meine Dame, Ihre Liebe zu verlieren ist schmerzlicher, als das Leben zu verlieren...." "Martial!..." sagte die Gräfin ernst, "es ist Frau von Soulanges! Und ihr Mann würde Ihnen eine Kugel durch das Hirn jagen, wenn Sie ein solches haben, sobald Sie...." "Ach!" fiel ihr der Geck lachend in die Rede, "der Oberst läßt den in Frieden leben, der ihm Ihr Herz entrissen hat, und er sollte sich für seine Frau schlagen?... Welche Umkehrung der Grundsätze!... Ich bitte Sie, lassen Sie mich mit der kleinen Dame tanzen. Sie werden auf diese Weise am schnellsten den Beweis erhalten, wie wenig Liebe das eiskalte Herz besitzt, das Sie verabschiedet haben, denn wird der Oberst böse darüber, daß ich seine Gattin zum Tanzen veranlasse...." "Ach!" sagte die Gräfin mit einem bitteren Lächeln, "Ihr bestraft uns bitter für unsere Fehltritte und unsere Reue! Dann beklagt Ihr Euch noch über unsern Leichtsinn! So wirft der Herr seinen Sklaven die Sklaverei vor. Welche Ungerechtigkeit!" "Betrüben Sie sich nicht!" sagte Martial lebhaft. "Oh, ich bitte Sie darum, verzeihen Sie mir! Hören Sie! Ich denke nicht mehr an Frau von Soulanges." "Ich gehe schon...." sagte der Baron lachend; "allein ich werde verliebter in Sie zurückkehren, als ich es je gewesen bin, und Sie werden sehen, daß sich auch das hübscheste Weib von der Welt eines Herzens nicht bemächtigen kann, das Ihnen gehört." "Ha, der Verräter!" antwortete er lachend und drohte seinem lächelnden Freunde mit dem Finger. Nun näherte sich der Oberst, und der Baron trat ihm seinen Platz neben der Gräfin ab, zu der er noch spöttisch sagte: "Meine Dame, dieser Herr hat sich gerühmt daß er an einem Abend Ihre Liebe erwerben könne!" Er entfernte sich, während er sich freute, die Eigenliebe der Gräfin erweckt und dem Obersten ein Bein gestellt zu haben; ungeachtet seiner gewöhnlichen Schlauheit, hatte er doch nicht den ganzen Spott erraten, der in den Reden der Frau von Vaudremont lag; er hatte nicht einmal bemerkt, daß sie ebensoviele Schritte seinem Freunde entgegengetan habe, als dieser ihr entgegengegangen war. Als sich Martial dem glänzenden Kandelaber näherte, hinter dem die Gräfin von Soulanges saß, trat deren Gemahl mit wilden Blicken in die Tür des Salons und zeigte zwei Augen, in denen das Feuer der Leidenschaft flammte. Die alte Herzogin, die auf alles aufmerksam war, näherte sich ihrem Neffen mit der Lebendigkeit einer jungen Frau und bat ihn um seinen Arm und um seine Kutsche, um sich entfernen zu können, indem sie eine schreckliche Langeweile vorschützte und sich schmeichelte, auf solche Weise ein peinliches Aufsehen zu vermeiden. Bevor sie ging, gab sie noch ihrer Nichte ein Zeichen des Einverständnisses, indem sie zugleich auf den kühnen Kavalier deutete, der sich bereit machte, sie anzureden. Ihr strahlender Blick schien zu sagen: "Da ist er, räche Dich!" Frau von Vaudremont fing den Blick der Tante und den der Nichte auf. Ein plötzliches Licht fiel in ihr Herz, und die junge Kokette befürchtete, von der alten, in Ränken so erfahrenen Dame genarrt worden zu sein. "Diese treulose Herzogin," dachte sie, "wird es vielleicht ergötzlich gefunden haben, mir eine moralische Vorlesung zu halten und zugleich einen schlechten Streich nach ihrer Weise zu spielen." Bei diesem Gedanken wurde die Eigenliebe der Frau von Vaudremont vielleicht noch lebhafter ins Spiel gezogen, als ihre Neugierde, den Knäuel dieser Intrigen entwirrt zu sehen. Der innere Sturm, von dem sie ergriffen wurde, raubte ihr die Selbstbeherrschung. Der Oberst erklärte sich nun zu seinem Vorteil die Verlegenheit, die sich in den Reden und in der Haltung der Gräfin zeigte, und wurde deshalb noch glühender und drängender. Neue Geheimnisse, gleich anziehend wie die früheren, belebten nun diese bewegte Szene. Die Leidenschaften der beiden Paare, deren Abenteuer diese Erzählung wiedergibt, sprangen auf alle Teilnehmer des glänzenden Balles über und veranlaßten die verschiedensten Färbungen der Teilnahme. Die alten abgestumpften Diplomaten, denen es so viel Freude machte, das Spiel der Mienen zu beobachten und die angesponnenen Ränke zu erraten und zu verfolgen, hatten noch nie eine so reiche Ernte der Unterhaltung gefunden, dennoch ließ das Schauspiel so vieler, lebhafter Leidenschaften, ließen die Zänkereien der Liebe, diese süßen Äußerungen der Rache, diese grausamen Gunstbeweise, diese entflammten Blicke, ließ das ganze glühende Leben, das rund um sie her ergossen war, sie nur umso lebhafter ihre Ohnmacht erraten. Endlich war es dem Baron gelungen, in der Nähe der Gräfin von Soulanges einen Sitz zu finden. Seine Augen schweiften verstohlen über einen Hals, der frisch war wie der Tau, wohlduftend wie ein Blumenbeet. Er bewunderte in der Nähe die Schönheiten, die ihn schon aus der Ferne überrascht hatten, er konnte einen kleinen, schönbekleideten Fuß sehen, und eine geschmeidige anmutige Taille mit den Augen messen. Damals knüpften die Frauen die Gürtel ihrer Kleider dicht unter dem Busen, wie man es bei den griechischen Statuen erblickt! Diese Mode war grausam für jene Frauen, deren Wuchs irgendeinen Fehler hatte. Martial warf flüchtige Blicke auf den Busen und wurde entzückt durch die Vollendung der himmlischen Formen der Gräfin. Er war trunken vor Liebe und Hoffnung. "Sie haben heute abend noch nicht ein einziges Mal getanzt?" fragte er mit sanfter und schmeichelnder Stimme; "hoffentlich ist dies nicht die Schuld der Herren."--"Es ist nun bald zwei Jahre, daß ich mich nirgends gezeigt habe, und ich bin unbekannt in der Welt ..." antwortete Frau von Soulanges; denn sie hatte den Blick nicht begriffen, durch den ihre Tante sie aufforderte, sich gefällig gegen den Baron zu zeigen. Dieser ließ aus Gewohnheit den schönen Diamant spielen, der den Ringfinger seiner linken Hand schmückte. Das Feuer, das die geschliffenen Flächen des Steines ausstrahlten, schien ein plötzliches Licht in das Herz der jungen Gräfin zu werfen. Sie errötete und blickte den Baron mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an. "Tanzen Sie gern?" fragte der Provençale, um es zu versuchen, die Unterhaltung wieder anzuknüpfen. Bei dieser Antwort trafen ihre Blicke einander; denn der junge Mann wurde von dem süßen und zum Herzen sprechenden Tone überrascht, der eine unbestimmte Hoffnung bei ihm erweckte, und hatte daher schnell die Augen der Gräfin geprüft. "Würden Sie es nicht als eine Verwegenheit von meiner Seite betrachten, wenn ich Sie bäte, bei dem nächsten Contretanz mit mir anzutreten?" Eine kindliche Verlegenheit rötete die bleichen Wangen der Gräfin, wie einige Tropfen eines roten Weines sich allmählich in einem Glase klaren Wassers verbreiten und dasselbe röten. "Aber, mein Herr ... ich habe bereits einem Tänzer eine abschlägige Antwort gegeben, einem Oberst...." "Der ist mein Freund, befürchten Sie nichts. Ich hoffe, Sie werden mir meine Bitte gewähren." Der zitternde Klang ihrer wohltönenden Stimme deutete auf eine so neue und tiefe Bewegung, daß selbst das abgestumpfte Herz Martials dadurch schwankend gemacht wurde. Er fühlte sich von der Blödigkeit eines Schulknaben ergriffen. Er verlor seine Sicherheit, und sein südländisches Blut geriet in Flammen. Er wollte sprechen, allein seine Ausdrücke erschienen ihm im Vergleich zu den geistreichen und feinen Antworten der Frau von Soulanges ohne Anmut. Es war ein Glück für ihn, daß der Contretanz begann, denn als er neben seiner schönen Tänzerin stand, fühlte er sich wieder erleichert. Es gibt viele Männer, für die der Tanz eine Art weltmännischer Gewandtheit ist, und die, indem sie die Anmut ihres Körpers zu entfalten suchen, stärker auf das Herz der weiblichen Welt einzuwirken glauben, als durch ihren Geist. Der Provençale wollte ohne Zweifel in diesem Augenblick alle seine Verführungskünste entfalten, wenn man dies aus der Sorgfalt schließen darf, die er auf alle seine Bewegungen verwandte. Aus Eitelkeit hatte er seine Eroberung zu der Quadrille geführt, zu der sich die glänzendsten Damen des Salons aufgestellt hatten, während sie eine besondere Wichtigkeit darauf legten, schöner zu tanzen, als die Tänzerinnen aller anderen Quadrillen. Während das Orchester das Vorspiel der ersten Figur beendete, empfand der Baron eine unglaubliche Befriedigung des Stolzes, als er bemerkte, daß Frau von Soulanges die schönste Tänzerin unter allen sei, die sich auf den Linien dieses glänzenden Vierecks aufgestellt hatten. Ihre Toilette überstrahlte selbst die der Frau von Vaudremont, die sich infolge eines vielleicht absichtlich gesuchten Zufalles mit dem Obersten dem Baron und der blauen Dame gegenüber gestellt hatte. Die Blicke aller Männer hafteten für einen Augenblick auf Frau von Soulanges, und ein schmeichelhaftes Gemurmel deutete darauf, daß alle Tänzer mit ihren Damen gegenwärtig von ihr sprachen. Blicke des Neides und der Bewunderung wurden mit einer solchen Lebhaftigkeit gegen die junge Dame abgeschossen, daß diese gleichsam beschämt wurde durch einen Triumph, dem sie sich gern entzogen hätte, bescheiden ihre Augen senkte, errötete und dadurch noch reizender wurde. Wenn sie ihre weißen Augenlieder aufschlug, so geschah es nur, um ihren Tänzer anzublicken, als hätte sie den Ruhm dieser Huldigungen auf ihn zurückzuführen und ihm sagen wollen, daß sie die seinigen allen anderen vorzöge. Sie legte Unschuld in ihre Koketterie oder schien sich vielmehr einem neuen Gefühl, einer kindlichen Bewunderung mit jener Aufrichtigkeit zu überlassen, die man nur in jugendlichen Herzen antrifft. Wenn sie tanzte, so konnten die Zuschauer leicht glauben, daß die Verschlingungen der launenhaften Pas, die sie auf eine reizende Weise ausführte, nur für Martial vollbracht wären, denn die luftige Sylphide wußte gleich der verständigen Kokette ihre Augen zu rechter Zeit gegen ihn zu erheben oder auch mit verstellter Bescheidenheit wieder zu senken. Als eine Bewegung des Tanzes Martial dem Obersten entgegenführte, sagte er lachend zu ihm: "Ich habe Dein Pferd gewinnen...." "Ja, aber Du hast achtzigtausend Livres Rente verloren," entgegnete ihm der Oberst und zeigte auf die strengen Blicke der Frau von Vaudremont. "Was kümmert mich das," antwortete Martial mit leichtem Trotz. "Frau von Soulanges ist Millionen wert!" Nach Schluß des Contretanzes wurde mehr als eine Bemerkung von den Zuschauern und Mittänzern den Nachbarn und Bekannten ins Ohr geflüstert. Die weniger hübschen Damen sprachen mit ihren Tänzern über die Moral und spielten dabei auf die keimende Zuneigung des Barons und der Gräfin von Soulanges an. Selbst die Schönsten wunderten sich über den Leichtsinn, mit dem dies Bündnis abgeschlossen war. Die Männer begriffen umsoweniger das Glück des kleinen Requêtenmeisters, da er gar nichts Verführerisches an sich zu haben schien. Einige nachsichtigere Damen sagten, daß man nicht so voreilig urteilen dürfe, und die Jugend sei sehr zu beklagen, wenn ein ausdrucksvoller Blick und ein anmutiger Tanz hinreichten, um so ernste Anklagen darauf zu stützen. Nur Martial kannte den Umfang seines Glückes. In der letzten Figur hatten die Damen der Quadrille die Windmühle zu bilden. Seine Finger drückten die der Gräfin, und er glaubte durch die feinen parfümierten Handschuhe hindurch zu fühlen, daß die Finger des jungen Weibes seinem verliebten Druck antworteten. "Meine Dame," sagte er in dem Augenblicke zu ihr, als der Contretanz endete, "kehren Sie nicht in jene abscheuliche Ecke zurück, in der Sie bis jetzt Ihre Schönheit und Ihren Schmuck verborgen haben. Die Bewunderung ist der einzige Zoll den Sie durch Ihre Diamanten erreichen können, die Ihren weißen Hals und Ihre so schön geflochtenen Haare schmücken. Machen Sie mit mir eine kleine Runde durch die Salons und genießen Sie einen Anblick des ganzen Festes." Frau von Soulanges folgte dem geschickten Verführer, der dachte, daß sie ihm umso sicherer angehören würde, wenn es     >>>
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