Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 11
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diese liebliche Blume
nennen könnte, die erst jetzt ganz neu
in
diesen Garten verpflanzt ist?..." "Nun, es ist
vielleicht ein
Gesellschaftsfräulein...!" sagte der
Oberst. "Herrlich! Ein
Gesellschaftsfräulein mit
Saphiren, deren
sich eine Königin nicht zu schämen
brauchte!... Das
machen Sie
andern weis, Sie
werden wohl nicht stärker in der
Diplomatie
sein als ich, wenn Sie eine
deutsche Prinzessin für ein
Gesellschaftsfräulein halten." Der
Oberst, der weniger
gesprächig, dafür aber
neugieriger
war, ergriff einen kleinen
rundlichen Mann beim Arm,
dessen graue
Haare und
geistreiche Augen man in jedem
Augenblicke in einem
anderen Teile des
Salons erblickte.
Dieses wundersam behende
Männchen mischte
sich in alle Gruppen und wurde überall mit einer
gewissen
Achtung
aufgenommen. "Gondreville, mein
lieber Freund," sagte der
Soldat zu
ihm, "wer ist das
allerliebste kleine Weibchen dort
hinter Deinem
gewaltigen vergoldeten Kandelaber?" "Der
Kandelaber?... Er ist von
Ravrio, mein
Lieber, und
Isabey hat die Zeichnung dazu geliefert...." "O, ich
habe
Deinen Geschmack schon anerkannt, und mich an dem
prachtvollen
Kandelaber erfreut; ich meine aber die Dame, die Dame...." "Ach
so, die kenne ich nicht!... Es ist ohne Zweifel eine
Freundin meiner Frau." "Nein, auf Ehre nicht.
Allein nur die
Gräfin von
Gondreville kann Leute
einladen, die niemand kennt." Der
kleine dicke Mann
sprach diese Bemerkung mit einiger
Bitterkeit aus
und entfernte sich dann; aber auf
seinen Lippen schwebte doch
ein Lächeln innerer
Zufriedenheit, die durch die Vermutung des
Obersten
hervorgerufen war.
Dieser trat nun
wieder zu dem
Requêtenmeister, der
sich indes einer
benachbarten Gruppe angeschlossen hatte, um
Erkundigungen über
die
Unbekannte einzuziehen. Der
Oberst nahm den
Requêtenmeister beim Arm
und flüsterte ihm ins Ohr: "Mein
lieber Martial, nimm Dich
in acht. Frau von
Vaudremont blickt Dich seit einigen Minuten
mit einer
verzweifelten Aufmerksamkeit an. Sie ist fähig, schon an
der
Bewegung Deiner Lippen zu
erkennen, was Du mir sagst.
Unsere Blicke sind
überdies bereits zu
bezeichnend gewesen. Sie hat
dieselben bemerkt und ist ihrer
Richtung gefolgt. Wenn ich nicht
irre, so zerbricht sie sich in
diesem Augenblick den Kopf
mehr über
unsere Dame, als wir
selbst es tun." "Das
ist eine alte
Kriegslist! Was kümmert mich das
übrigens. Ich
mache es wie der
Kaiser: wenn ich
Eroberungen mache, so
behaupte ich dieselben auch." "Martial, Deine Eitelkeit
verdient eine Lehre.
Wie, Schurke, Du hast das Glück, mit Frau von
Vaudremont
verlobt zu sein, mit einer Witwe von
zweiundzwanzig Jahren, die
jährlich zweitausend doppelte Napoleons zu verzehren und Dir Diamanten von
dreitausend Taler Wert an die
Finger gesteckt hat ... und
Du
willst dennoch den Lovelac spielen, als wärst Du ein
Oberst, der nächstens die
Garnison vertauschen wird?... Pfui!... Bedenke doch
wenigstens, was Du verlieren
kannst!..." "Dann werde ich
wenigstens meine
Freiheit nicht verlieren," versetzte Martial mit einem
erzwungenen Lächeln. Er
warf einen
leidenschaftlichen Blick auf Frau von
Vaudremont, die nur
mit einem unruhigen Lächeln
antwortete, denn sie hatte gesehen, wie
der
Oberst die Hand des
Requêtenmeisters ergriff, um den kostbaren
Ring zu
betrachten, den sie
diesem geschenkt hatte. "Höre, Martial!"
versetzte der
Oberst. "Wenn Du noch
länger um meine junge
Unbekannte herumflatterst, so
unternehme ich die Eroberung der Frau von
Vaudremont." "Das ist Ihnen erlaubt, reizender Kürassier,
allein Sie
werden
den Platz nicht einnehmen." "Bedenke, daß ich
Junggeselle bin," sagte
der
Oberst, "daß mein Degen mein
einziges Vermögen ist und
Du mich durch eine
solche Antwort
durchaus herausfordern mußt." "Brrr."
Diese
scherzhafte Häufung von
Konsonanten war die einzige Antwort auf
die Drohung des
Obersten, den sein
Freund vom Kopf bis
zu den Füßen maß, bevor er ihn verließ. Der
Oberst
war ein Mann von etwa
fünfunddreißig Jahren und trug nach
der Mode jener Zeit kurze
Beinkleider von
weißem Kaschmir und
seidene
Strümpfe, die die seltene
Vollendung seiner Formen verrieten. Er
hatte jenen hohen Wuchs, der die
Kürassiere der
kaiserlichen Garde
auszeichnete. Seine Uniform erhöhte noch die Anmut
seines Körpers, der
durch den
Dienst zu
Pferde nicht entstellt war, sondern
vielmehr
die
nötige Fülle erlangt hatte, die für seine
körperlichen Verhältnisse
paßte. Ein schwarzer
Schnauzbart vollendete den
aufrichtigen Ausdruck seines nicht
militärischen Antlitzes,
dessen Stirn breit und offen war. Unter der
Adlernase zeigten sich die
purpurroten Lippen seines Mundes. In dem
Benehmen des
Obersten lag ein
gewisser Adel, den er der
Gewohnheit des Befehlens verdankte, und der sehr wohl einer Frau
gefallen konnte, die
keinen Sklaven aus ihrem Manne zu
machen
wünschte. Der
Oberst lächelte, indem er dem
Requêtenmeister, der einer
seiner besten Freunde vom Kollegium her war,
nachblickte und sah,
wie wenig gut
dieser gewachsen war. Der Baron Martial de
la
Roche-Hugon war ein
junger Provençale von etwa dreißig
Jahren,
den
Napoleon damals mit
außerordentlichen Gunstbeweisen auszeichnete. Martial
schien zu
irgendeinem wichtigen
Gesandtschafts- posten bestimmt. Er besaß in hohem Grade
den Geist der Intrige, jene
Beredsamkeit des
Salons und jene
Gewandtheit des Benehmens, die so
leicht die weniger
glänzenden Eigenschäften
eines soliden
Mannes ersetzten. Die lebhaften Züge
seines Gesichts, dessen
Hautfarbe unter den dichten
Locken eines
Waldes von schwarzen
Haaren
noch
weißer erschien, als sie
wirklich war, verrieten viel Geist
und
Anmut.--Die beiden Freunde waren gezwungen, sich zu trennen, indem
sie sich
herzlich die Hände
drückten, denn die Töne des
Orchesters gaben den Damen das Zeichen, daß die
Quadrillen des
vierten
Contretanzes gebildet werden sollten, und alle
Männer mußten sich
daher aus dem
weiten Raume entfernen, den sie
bisher in
der Mitte des
Salons eingenommen hatten. Die flüchtige
Unterhaltung der
Freunde war während der Ruhepause geführt
worden, die stets die
Contretänze trennt, und zwar vor einem Kamin von
weißem Marmor,
einer
prachtvollen Zierde des größten der drei
Salons im Hotel
Gondreville. Die meisten
Fragen und Antworten
dieser Plauderei
hatten die
beiden Sprechenden einander ins Ohr
geflüstert. Allein die
Girandolen und
Leuchter, mit denen der Kamin
verschwenderisch geschmückt war,
ergossen so
reichliche Ströme von Licht über den
Oberst und den
Requêtenmeister,
daß ihre zu lebhaft
erleuchteten Gesichter trotz einer
diplomatischen Selbstbeherrschung
den
Ausdruck der Gefühle den
schlauen Augen der Frau von
Vaudremont und den
aufrichtigen Blicken der
jungen Unbekannten nicht zu
verhehlen
vermochten. Bei
Leuten, die gern die Gefühle anderer entdecken,
bildet es eines der größten Vergnügen, beim
Besuch von
Gesellschaften
die
Gedanken auszukundschaften, und sie
gelangen dadurch oft zu
köstlichen
Genüssen, während
andere sich
langweilen, ohne daß sie es wagen,
ihre
Langeweile zu
gestehen. Um das geheime Interesse zu begreifen,
das in der
Unterhaltung liegt, mit der diese Erzählung beginnt,
müssen wir notwendig ein
Ereignis kennen lernen, das ein fast
unbedeutendes scheinen könnte, das aber dennoch durch
unsichtbare Bande die
Personen dieses kleinen
Dramas vereinigte, obgleich sie in den
Salons
zerstreut waren, die von dem
Geräusch des
glänzenden Festes widerhallten.
Dieses Ereignis hatte sich
einige Minuten
früher zugetragen, als der
Oberst und Baron Martial
miteinander sprachen. Etwa um elf Uhr
abends, als die
Tänzerinnen ihre
Plätze einnahmen, sah die glänzende
Versammlung im Hotel
Gondreville die
schönste Frau von Paris
erscheinen,
die Königin der Mode, die einzige, die noch bei der
Versammlung gefehlt hatte. Sie hatte es sich zum
Gesetz gemacht,
nie eher zu
erscheinen, als in dem
Augenblick, wo sich
die
Salons in
festlicher Erregung befanden, in jenem anmutigen
Tumult,
währenddessen es den Damen nicht möglich ist, ihre
Aufmerksamkeit lange
auf die Frische der
verschiedenen Gesichter oder auf die Schönheit
der Toiletten zu richten.
Dieser flüchtige
Augenblick ist gleichsam der
Frühling eines
Balles, eine
Stunde später ist die
Freude vergangen,
die Ermattung tritt ein, und alles welkt. Frau von
Vaudremont
verfiel daher niemals in den
großen Fehler, so lange auf
einem Ball zu bleiben, bis die
Blumen sich neigten, die
Locken schlaff
wurden, der
Spitzenbesatz zerknittert war und das Antlitz
jenen
Ausdruck annahm, der die Folge einer
durchschwärmten Nacht ist
und nie verborgen
bleibt. Sie
hütete sich wohl, den
Fehler
ihrer
Nebenbuhlerinnen zu begehen und das
Ablassen ihrer Schönheit
bemerken
zu
lassen. Sie wußte dagegen geschickt ihren Ruf als die
koketteste Dame zu behaupten, indem sie sich stets
ebenso glänzend
von einem Ball zurückzog, als sie dort
erschienen war. Die
Damen
flüsterten einander mit einem
gewissen Neide zu, daß sie
ebenso oft ihren Schmuck wechsle, als sie einen neuen Ball
besuche. Diesmal stand es aber der Frau von
Vaudremont nicht
frei, sich nach ihrem
Belieben von dem Ball
wieder zu
entfernen, auf dem sie als
Siegesgöttin erschienen war. Einen
Augenblick
blieb sie an der
Schwelle der Tür
stehen, um
beobachtende,
aber flüchtige
Blicke auf die ganze Damenwelt zu
werfen, die
Kostüme zu mustern und sich zu
überzeugen, daß sie durch
ihren Schmuck alle übrigen
verdunkeln würde. Die
berühmte und hübsche
Kokette hatte sich dann der
Bewunderung aller
Anwesenden dargestellt, indem
sie von einem der
tapferen Obersten der
großen Armee geführt
wurde, der
damals Liebling des Kaisers und
überdies jung und
schön war. Er hieß Graf von Soulanges. Die zufällige und
vorübergehende Vereinigung dieser beiden Personen bot ohne Zweifel etwas
Rätselhaftes
dar; denn als der
Diener an der Tür Herrn von
Soulanges und
Gräfin von
Vaudremont anmeldete, erhoben sich
einige Damen,
die etwas zu weit abseits saßen, um
neugierige Blicke auf
die
Eintretenden zu
werfen. Auch
einige Herren eilten aus den
anstoßenden Salons vorbei und
drängten sich an die Türen des
Hauptsaales. Einer von jenen
Witzbolden, an denen es bei so
großen Gesellschaften nie fehlt,
bemerkte, als er die
Gräfin mit
ihrem
Kavalier eintreten sah, daß die Damen mit
ebenso großer
Neugierde auf einen
seiner Geliebten ergebenen Mann
schauten, wie die
Männer ein
schwer zu
fesselndes hübsches Weib
betrachteten. Graf von
Soulanges war ein
junger Mann von etwa
zweiunddreißig Jahren; er
schien haltlos, war aber
nervig. Seine hageren
Formen und sein
blasser Teint
nahmen wenig zu
seinen Gunsten ein.
Obgleich seine
schwarzen Augen eine sehr große
Lebhaftigkeit besaßen, war er doch
schweigsam. Indes galt er für einen sehr
verführerischen Mann, und
man gestand ihm große
Beredsamkeit in
Verbindung mit
vielen Fähigkeiten
zu. Die
Gräfin von
Vaudremont war eine
ziemlich große
Erscheinung
von
angenehmer Körperfülle, blendend weißer Haut, trug ihr kleines anmutiges
Köpfchen sehr schön und besaß den
gewaltigen Vorteil, durch die
Anmut ihres Benehmens Liebe einflößen zu
können. Man empfand stets
eine neue
Freude, wenn man sie anblicken oder mit ihr
sprechen konnte. Sie war eine von jenen
Frauen, die alle
Verheißungen erfüllen, welche ihre Schönheit gewährt.
Dieses rätselhafte und glänzende
Paar, das für
einige Augenblicke Gegenstand der
allgemeinen Aufmerksamkeit geworden
war,
erlaubte der Neugierde nicht lange, sich mit ihm zu
beschäftigen, denn der
Oberst und die Dame
schienen vollkommen zu
begreifen, daß der
Zufall sie in eine
schwierige Lage
gebracht
habe. Als der Baron Martial die
Gräfin und ihren
Kavalier
miteinander vorwärts schreiten sah, mischte er sich in eine
Gruppe
von Männern, die den Kamin umstanden, und
beobachtete zwischen den
Köpfen hindurch, die gleichsam einen Wall um ihn
bildeten, Frau
von
Vaudremont mit der
ganzen eifersüchtigen Aufmerksamkeit, die das erste
Feuer der
Leidenschaft erregt. Eine
innere Stimme schien ihm zu
sagen, daß der
Erfolg, auf den er stolz gewesen sei,
noch immer nicht als ein ganz
gewisser betrachtet werden könne.
Allein das Lächeln
kalter Höflichkeit, mit dem die
Gräfin Herrn
von Soulanges
dankte, und die
Verneigung, mit der sie ihn
verabschiedete, als sie sich zu Frau von
Gondreville setzte, entspannte
die Muskeln
wieder, die die
Eifersucht auf dem
jugendlichen Antlitz
des
Requêtenmeisters krampfhaft zusammengezogen hatte. Als indes der
eifersüchtige Provençale
bemerkte, daß Herr von Soulanges zwei
Schritte von dem Sofa
stehen blieb, in dem Frau von
Vaudremont Platz
genommen hatte,
ohne auf den Blick zu
achten, durch den die junge
Kokette ihrem
getäuschten Liebhaber zu sagen
schien, daß sie beide
eine
lächerliche Rolle
spielten, da zog er von neuem die
schwarzen
Brauen zusammen, die seine
blauen Augen
beschatteten, fuhr, um
sich Haltung zu geben, mit den Fingern durch die
Locken
seiner braunen Haare und
beobachtete das
Benehmen der
Gräfin und
des Herrn von Soulanges, ohne die Aufregung zu
verraten, die
sein Herz
heftiger schlagen ließ. Der
Requêtenmeister schien mit
seinen
Nachbarn zu
plaudern, aber das Feuer einer
heftigen Leidenschaft entflammte
sein unruhiges Auge. Nun trat der
Oberst zu ihm und
reichte ihm die Hand, um seine
Bekanntschaft zu
erneuern, worauf
er die
kriegerische Odyssee
seines Freundes anhörte, ohne sie zu
hören, denn er blickte stets nur auf Herrn von Soulanges.
Dieser überschaute mit ruhigen Blicken die vierfache Reihe von Damen,
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