Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 16
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ihm gelänge, sie vor der Welt
bloßzustellen. Sie machten nun
eine angenehme Wanderung
zwischen den Gruppen
hindurch, die die
prachtvollen
Salons des
Hotels erfüllten. Die
Gräfin von Soulanges blieb furchtsam
einen
Augenblick an der Tür eines jeden
Salons stehen und
trat nicht eher ein, bis sie einen
durchdringenden Blick nach
allen Männern
geworfen hatte. Diese Besorgnis
erfüllte den
Requêtenmeister mit
noch
größerer Freude, denn er sah, daß sie sich nicht
eher beruhigte, bis er
gesagt hatte: "Ermutigen Sie sich, er
ist nicht da." So gelangten sie bis in eine
Gemäldegalerie
von
ungemeinem Umfange, die in einem
Flügel des
Hotels lag,
und wo man sich zum
Voraus des
großartigsten Anblicks eines
Imbißes
erfreute, der für
dreihundert Personen aufgetragen war. Der
Requêtenmeister
erriet, daß das Mahl bald
beginnen werde, und zog daher
die
Gräfin mit sich nach einem Boudoir, das er ausfindig
gemacht hatte. Es war ein
länglich-rundes Zimmer, das nach dem
Garten ging. Die
seltensten Blumen und Sträucher
bildeten gewissermaßen ein
Dickicht, durch
dessen Blätter
hindurch das Auge die
glänzenden Tapeten
erblickte. Das
Geräusch des
Festes erstarb hier wie das
Geräusch
der Welt in der Nähe eines
heiligen Asyls. Die
Gräfin
zitterte beim Eintreten und
weigerte sich
hartnäckig, dem
jungen Manne
zu
folgen; nachdem sie aber einen Blick in einen Spiegel
geworfen und in demselben ohne Zweifel
Verteidiger erblickt hatte, ließ
sie sich anmutig auf eine
wollüstige Ottomane nieder. "Was für
ein
köstliches Gemach," sagte sie und
bewunderte eine
himmelblaue Tapete,
die durch
Perlen gehoben wurde. "Hier atmet alles Liebe und
Wollust ..." sagte Martial. Dann
betrachtete er bei dem
geheimnisvollen
Halbdunkel, das in
dieser süßen
Einsamkeit herrschte, die
Gräfin, und
bemerkte in ihren stark
erregten Zügen einen
Ausdruck der
Verwirrung,
der Scham und der Sehnsucht, durch den er bezaubert wurde.
Sie
lächelte, und
dieses Lächeln
schien dem
Kampfe aller Gefühle,
die in ihrem
Herzen miteinander rangen, ein Ende zu
machen;
der Baron war
entzückt. Auf die
verführerischste Weise der Welt
ergriff sie die linke Hand ihres
Anbeters und zog den
Ring von
seinem Finger, auf den sie bereits so feurige
Blicke der Sehnsucht
geworfen hatte. "Das ist ein recht schöner
Diamant!..." sagte sie sanft und mit dem
unschuldigen Ausdruck eines
jungen Mädchens, das die ganze Macht
seiner ersten Lockung
fühlen
läßt. Martial war durch die
unwillkürliche, aber
berauschende Berührung, die
ihm von den Fingern der
Gräfin beim
Abziehen des
Ringes
zuteil geworden war,
erregt und
betrachtete ihn mit Blicken, die
ebensosehr funkelten wie der Ring.
"Behalten Sie ihn als
Erinnerung
an diese
himmlische Stunde und aus Liebe für..." Er vermochte
seine Worte nicht
auszusprechen, denn der
Ausdruck der
Begeisterung, der
in ihren Zügen lag, erregte ihn zu lebhaft. Er küßte
ihre Hand.
"Scherzen Sie nicht
vielleicht?..." fragte sie dann
abermals,
und man
erkannte in dem
Ausdruck dieser Worte ihre
lebhafte
Freude. Sie steckte den Ring an ihren
Finger. Martial glaubte,
daß nun
nichts mehr an
seinem Glück fehle und
machte
eine kühne
Bewegung; allein die
Gräfin erhob sich plötzlich und
sagte mit einer
hellen Stimme, die
durchaus keine
Erregung verriet:
"Mein Herr, ich nehme
diesen Diamanten mit
umsoweniger Bedenken an,
da er mir
gehört." Der
Requêtenmeister wußte nicht, was er
sagen
sollte, und blieb
unbeweglich, mit
weitgeöffnetem Munde
sitzen. "Herr
von Soulanges hat ihn vor sechs Monaten aus
meinem Schmuckkasten
genommen und dann
vorgegeben, daß er ihn
verloren habe." "Sie
irren sich, meine Dame," sagte Martial in gereiztem Tone; "denn
ich habe den Ring von Frau von
Vaudremont." "Ganz recht!"
erwiderte sie
lächelnd, "mein Mann hat den Ring
entführt, hat
ihn ihr gegeben, und sie hat ihn
wieder verschenkt. Gewiß,
mein Herr, ich würde nie
gewagt haben, ihn um denselben
Preis
wiederzuerwerben, um den ihn die
Gräfin erworben hat, wenn
er nicht mir gehörte.... Aber, sehen Sie hier," fuhr sie
dann fort und ließ eine
kleine Feder
aufspringen, die unter
dem
Steine verborgen war, "hier
befinden sich noch die Haare
des Herrn von Soulanges." Sie brach in ein
lautes und
spöttisches Gelächter aus und eilte dann mit einer solchen
Schnelligkeit
in den
Garten, daß jeder Versuch, sie
wieder einzuholen, überflüssig
erscheinen mußte.
Überdies war Martial so
niedergeschlagen, daß er keine
Lust hatte, das Abenteuer
fortzusetzen. In der Tat hatte das
Lachen der Frau von Soulanges ein Echo in dem Boudoir
gefunden, und der junge Geck
bemerkte zwischen zwei
Orangenbäumen den
Obersten und Frau von
Vaudremont, die ebenfalls
herzlich lachten.
"Willst
Du mein Pferd haben, um
dieser boshaften
Person nachzusetzen?" fragte
der
Oberst. Der Baron stimmte in dies
Lachen ein, denn
es war
offenbar das Klügste, was er tun
konnte. Er
erkaufte das
vollkommene Schweigen der
beiden Zeugen dieses Auftritts durch
die Demut, mit der er die Scherze der künftigen
Gattin
des
Obersten und des
Obersten selbst ertrug, nachdem
dieser an
dem
heutigen Abend sein
Kampfroß gegen eine junge,
reiche und
hübsche Frau
eingetauscht hatte. Die
Gräfin von Soulanges erreichte es
mit einiger Mühe, daß ihr Wagen vorfuhr, und
kehrte nun,
gegen zwei Uhr morgens, nach Hause
zurück. Während sie von
der
Chaussée d'Antin nach der
Vorstadt Saint-Germain fuhr, in der
sie
wohnte, wurde sie von einer lebhaften
Unruhe ergriffen. Bevor
sie das Hotel de
Gondreville verließ, hatte sie
nochmals die
Salons durchsucht, ohne ihre Tante oder ihren Mann
anzutreffen, deren
Abfahrt ihr unbekannt geblieben war.
Schreckliche Ahnungen quälten ihr edles
Herz. Sie hatte die
Leiden erkannt, die ihr Mann seit
dem Tage
fühlte, an dem ihn Frau von
Voudremont an
ihren
Triumphwagen spannte, und
hoffte vertrauensvoll, daß ihr die Reue
bald ihren Mann
wieder zuführen würde. Mit einem
unglaublichen Widerstreben
hatte sie daher in den Plan
eingewilligt, den ihre Tante,
Frau von Marigny, entworfen, und
befürchtete jetzt, einen
Fehler begangen
zu haben. Der
Besuch des
Balles hatte ihr
aufrichtiges Herz
betrübt. Erst war sie durch das
leidende und
finstere Aussehen
des
Grafen von Soulanges
erschreckt worden, dann aber noch mehr
durch die Schönheit ihrer
Nebenbuhlerin. Zuletzt hatte noch die
Verderbnis
der Welt ihr Herz
beengt. Während sie über den Pont-Royal
fuhr, warf sie die
entweihten Haare, die unter dem Diamant
lagen und ihr
ehedem als ein
Unterpfand reiner Liebe waren
dargebracht worden, weg. Sie
weinte, indem sie sich der lebhaften
Leiden entsann, deren Beute sie seit
langer Zeit gewesen, und
mehr als
einmal seufzte sie, wenn sie daran
dachte, daß
Frauen, die den ehelichen Frieden
erlangen wollen, ohne
Klagen im
Innersten ihres Herzens
Qualen verschließen mußten, die so grausam waren
wie die ihrigen. "Ach!"
dachte sie, "wie mögen es die
Frauen haben, die nicht
lieben? Worin
beruht die
Quelle ihrer
Gleichgültigkeit? Ich
möchte meiner Tante nicht glauben, daß die
Vernunft
hinreicht, um sie bei einer solchen
Ergebenheit zu
erhalten." Sie
seufzte
nochmals, als ihr Jäger den eleganten Tritt
niederschlug, von
dem sie unter das Vordach ihres
Hotels sprang. Hastig eilte
sie die
Treppe hinauf und trat in ihr
Zimmer, zuckte
aber vor Schrecken
zusammen, als sie ihren Mann auf einem
Stuhl neben dem Kamin
sitzen sah. Er
zeigte ihr ein
erzürntes Antlitz. "Seit wann
besuchen Sie die Bälle ohne mich,
meine Liebe?... Ohne mich davon zu
benachrichtigen?..." fragte er mit
erregter Stimme. "Wissen Sie, daß eine Frau nie den
gebührenden
Platz
findet, wenn sie ohne ihren Mann
irgendwo erscheint?... Sie
wurden außerordentlich zurückgesetzt, indem man Sie in jenen dunklen
Winkel
drängte!..." "O mein guter Leon," sagte sie in einem
schmeichelnden
Ton. "Ich vermochte dem Glück nicht zu
widerstehen, Dich zu
sehen, ohne daß Du mich
sähest. Meine Tante hat mich
auf den Ball geführt und ich war dort sehr glücklich!"
Diese Worte
verbannten plötzlich aus den Blicken des
Grafen die
erzwungene Strenge. Es war
leicht zu erraten, daß er sich
selbst die
lebhaftesten Vorwürfe mache, daß er die
Rückkehr seiner
Frau
gefürchtet habe und überzeugt sei, sie habe auf dem
Balle sich von einer Untreue überzeugt, die er ihr
hoffte
verbergen zu
können. Er
folgte daher dem
Gebrauch solcher Liebenden,
die ihre
Schuld erkennen, und versuchte den gerechten Zorn der
Gräfin zu vermeiden, indem er sich erzürnt gegen sie stellte.
Überrascht blickte er nun
schweigend seine
Gattin an. Sie
schien
ihm schöner als je, in dem
glänzenden Schmuck, der in
diesem Augenblick ihre Reize hob. Was dagegen die
Gräfin betraf,
so
freute sie sich, ihren Mann lächeln zu sehen und
ihn zu
dieser nächtlichen Stunde in einem
Zimmer zu
finden,
das er seit einiger Zeit weniger
häufig besucht hatte. Sie
errötete und
richtete verstohlene Blicke auf ihn, in denen aber
ein
Reichtum der Liebe und
Hoffnung lag. Soulanges wurde umso
trunkener durch sein Glück und seine Liebe, da
dieser Auftritt
auf die
Qualen folgte, die er während des
Balles erlitten
hatte, und ergriff die Hand
seiner Frau, um sie dankbar
zu
küssen. "Hortense, was
trägst Du denn an
Deinem Finger,
das mich so hart an die
Lippen drückt?" fragte er
lachend. "Es ist mein Diamant, den Du
verloren zu haben
glaubtest. Ich habe ihn heute Abend in einem Schubfach
meiner
Toilette wiedergefunden." Der Graf
bewunderte eine so große Nachsicht, und
am folgenden
Morgen konnte Frau von Soulanges unter den
wiedergefundenen
Diamanten neue Haare legen, die nicht
wieder weggeworfen wurden, wie
die
früheren. In einer
Gesellschaft erzählte einer der
Anwesenden folgende
Geschichte: Einige Zeit nach
seinem Einzug in
Madrid lud der
Großherzog von Berg die
vornehmsten Familien dieser Stadt zu einem
Balle ein, den die
französische Armee der
neuerworbenen Hauptstadt gab.
Ungeachtet des
Galaglanzes waren die Spanier sehr ernst, ihre
Frauen
tanzten wenig, und der
größte Teil der Geladenen
setzte sich
an die
Spieltische. Die
Gärten des
Palastes waren
glänzend genug
erleuchtet, daß sich die Damen mit derselben
Sicherheit in ihnen
ergehen konnten, als wäre es
heller Tag gewesen. Das Fest
war
kaiserlich schön.
Nichts wurde aber auch gespart, um den
Spaniern einen hohen Begriff von dem
Kaiser zu geben, wenn
es ihnen
beliebte, von
seinen Offizieren auf ihn zu
urteilen.
In einem Boskett nahe dem Palaste
unterhielten sich
zwischen ein
und zwei Uhr morgens mehrere
französische Krieger von den
Wechselfällen
des Krieges und von der Zukunft, die wenig erbaulich sein
konnte, wenn man aus der Haltung der bei
diesem Feste
anwesenden Spanier einen
Schluß ziehen durfte. "Meiner Treu," sagte der
Ober-Chirurg des
Armeekorps, bei dem ich
Generalzahlmeister war, "gestern habe
ich den Fürsten Murat
förmlich um meine
Zurückberufung gebeten. Ohne
gerade zu
fürchten, daß ich meine Gebeine auf der Halbinsel
zurücklassen müsse, ziehe ich es doch vor, die
Wunden zu
verbinden, die
unsere guten deutschen
Nachbarn geschlagen haben; ihre Säbel
dringen nicht so tief in den Leib, wie die
kastilianischen
Dolche. Dazu kommt noch, daß die
Furcht vor Spanien bei
mir gleichsam zu einem
Aberglauben geworden ist. Seit
meiner Kindheit
habe ich spanische
Bücher gelesen, einen
Haufen düsterer Nachtgeschichten und
tausend
Erzählungen von
diesem Lande, die mich lebhaft gegen seine
Sitten eingenommen haben. Und was meint Ihr wohl! Schon in
der
kurzen Zeit unseres Hierseins bin ich, wenn nicht der
Held, doch
wenigstens der
Mitschuldige einer
gefährlichen Intrige
geworden, die
so schwarz und finster ist, wie nur ein Roman der
Lady Redcliffe sein kann. Ich folge gern
meinen Vorgefühlen, und
schon
morgen mache ich mich aus dem
Staube. Murat wird
mir gewiß
meinen Abschied nicht
verweigern, denn Dank den
Diensten,
die wir leisten, haben wir immer
wirksame Fürsprecher." "Da Du
Dich
sobald davon
machst, erzähle uns doch Dein Abenteuer,"
forderte
ihn ein
Obrist auf, ein alter
Republikaner, der sich um
die
schöne Sprache und
Höflichkeiten der
Kaiserzeit wenig
kümmerte. Der
Chirurg blickte
sorgfältig um sich, als wolle er jeden
prüfen,
der in
seiner Nähe
stände, und erst, als er
sicher
war, kein Spanier sei in
seiner Nachbarschaft, begann er: "Gern,
Obrist Hulot, denn wir sind hier nur Franzosen. Es sind
nun sechs Tage her, daß ich gegen elf Uhr
abends
vom General
Montcornet kam und mich nach
meiner Wohnung
zurückbegab,
die nur
wenige Schritte von der Wohnung des
Generals entfernt
ist. Da
warfen sich plötzlich an der Ecke einer kleinen
Straße zwei
Unbekannte oder
vielmehr zwei
Teufel über mich her
und hüllten mir Kopf und Arme mit einem
großen Mantel
ein. Ihr könnt es mir glauben, daß ich
schrie wie
ein
getretener Hund; aber das Tuch erstickte meine
Stimme, und
ich wurde mit einer
außerordentlichen Gewandtheit in einen Wagen gehoben.
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