Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 12
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Dieser überschaute mit ruhigen Blicken die vierfache Reihe von Damen,
die den
gewaltigen Salon des
Senators einrahmte. Er
schien jene
Einfassung von Diamanten, von Rubinen, von
goldenen Ähren und reizenden
Köpfen zu bewundern, deren Glanz fast die
Helligkeit der
Kerzen,
das
Kristall der
Kronleuchter, die
silberne Stickerei der Tapeten und
die
Vergoldung der Bronzen
überstrahlte. Die
sorglose Ruhe
seines Nebenbuhlers
brachte den
Requêtenmeister außer Fassung, und unfähig,
länger die
aufwallende
und geheime
Ungeduld zu
beherrschen, die sich
seiner bemächtigte, trat
er auf Frau von
Vaudremont zu, um sie zu
begrüßen.
Als der
Provençale erschien, richtete Herr von Soulanges einen finsteren
Blick auf ihn und
wandte dann
ungeduldig den Kopf. Ein
ernstes Schweigen herrschte in dem Salon. Die Neugierde war auf
den
höchsten Gipfel gestiegen. Die
emporgereckten Köpfe zeigten die
wunderlichsten
Mienen, und jeder
befürchtete oder erwartete einen von jenen
Auftritten,
vor denen sich
jedoch wohlerzogene Leute stets zu hüten
wissen.
Plötzlich wurde das bleiche Antlitz des
Grafen so rot, wie
der Scharlach
seiner Aufschläge, und seine
Blicke senkten sich auf
den
Fußboden, damit sie den
Gegenstand seiner Unruhe nicht erraten
ließen. Gleichsam durch einen
Zufall hatte er die
Unbekannte erblickt,
die
bescheiden am Fuße des
Kandelabers saß. Ein finsterer Gedanke
bemächtigte sich
seiner, und er ging mit trauriger Miene an
dem
Requêtenmeister vorüber, um sich in einen der
Spielsalons zu
flüchten. Der Baron Martial sowie die übrigen
Versammelten glaubten, daß
Soulanges ihm das Feld räume, um die
Lächerlichkeit zu vermeiden,
die sich
entthronte Liebhaber stets
zuziehen; nun erhob er stolz
das Haupt, blickte ebenfalls nach dem
köstlichen Kandelaber und
bemerkte
die
Unbekannte. Er
setzte sich mit
gefälligem Anstände neben Frau
von
Vaudremont, hörte aber so zerstreut auf die Worte, die
die Kokette
hinter dem
Fächer ihm
zuflüsterte, daß er sie
fast gar nicht
verstand. "Martial, Sie
werden mir die
Freude
machen, den Diamant heute abend nicht zu
tragen, den ich
Ihnen geschenkt habe. Ich habe meine
Gründe und werde sie
Ihnen
erklären, wenn wir uns entfernen; denn Sie
werden mir
bald den Arm reichen, um mich zur Fürstin von
Wagram
zu begleiten." "Warum
hatten Sie den Arm jenes häßlichen
Obersten
angenommen?" fragte der Baron. "Ich bin ihm in der
Vorhalle
begegnet ..." anwortete sie; "aber nun verlassen Sie mich, man
sieht zu uns herüber...." "Ich bin stolz
darauf!..." sagte Martial,
erhob sich aber dennoch und ging. Nun trat er zu
dem
Kürassier-Oberst, und jetzt wurde die
kleine blaue Dame das
gemeinschaftliche Band der
Unruhe, die sich zu
gleicher Zeit, aber
auf
andere Art, der
Gedanken des schönen
Kürassier-Obersten bemächtigt hatte,
wie auch des betrübten Herzens des
Grafen von Soulanges und
des
flatterhaften Sinnes des
Barons Martial und der
Gräfin von
Vaudremont. Als sich die
beiden Freunde nach den
herausfordernden Schlußworten
ihrer
langen Unterhaltung trennten, trat der junge
Requêtenmeister auf die
schöne Frau von
Vaudremont zu und wußte ihr einen Platz
in der Mitte der
glänzendsten Quadrille zu
verschaffen. Begünstigt durch
jene Art von
Rausch, in die eine Frau fast immer
versetzt wird, und durch das
Schauspiel eines
Balles, bei dem
die
Männer wenigstens ebenso geschmückt sind wie die Damen, glaubte
Martial
ungestraft dem
Anreiz nachgeben zu
können, der seine
Blicke
stets
wieder zu jenem
Winkel hinzog, in dem die
Unbekannte
gleichsam wie eine Gefangene saß. Es
gelang ihm, der lebhaften
Gräfin den
ersten und den zweiten Blick zu entziehen, den
er auf die blaue Dame warf, endlich aber wurde er
auf der Tat ertappt. Er
wollte sich mit
Zerstreuung entschuldigen,
rechtfertigte aber dadurch das
ungeziemende Schweigen nicht, mit dem er
auf die
meistverführerische aller
Fragen antwortete, die eine Frau
aussprechen
kann. Je
nachdenkender er wurde, desto gereizter
zeigte sich die
Gräfin. Während Martial nur
widerwillig tanzte, ging der
Oberst bei
den Gruppen der Zuschauer umher, um
Erkundigungen über die junge
Unbekannte einzuziehen. Nachdem er die
Gefälligkeit aller
Anwesenden, selbst der
Gleichgültigen, gemißbraucht hatte,
wollte er einen
Augenblick benützen, in dem
die
Gräfin von
Gondreville frei
schien, um sie
selbst nach
dem Namen der
rätselhaften Dame zu
fragen, als er eine
leichte Lücke
zwischen der Säule des
Kandelabers und den
Divans,
die zu
beiden Seiten standen,
bemerkte. Der
unerschrockene Kürassier
benutzte
den
Augenblick, währenddessen der
Contretanz einen
großen Teil der
Stühle
leer ließ, die eine dreifache
Festungslinie bildeten, welche jetzt nur
noch von Müttern und
Frauen eines
gewissen Alters verteidigt wurde,
und er wagte durch diese mit
farbigen Schals und
gestickten
Taschentüchern bedeckten Palisaden
durchzudringen. Er
begrüßte einige Witwen, und von
Dame zu Dame, von
Höflichkeit zu
Höflichkeit, gelangte er endlich
zu dem Platz der
Unbekannten, den er erspäht hatte. Auf
die
Gefahr hin, an den
Klauen und
Chimären des
gewaltigen
Leuchters
hängen zu bleiben,
errang er sich eine
Stelle unter
den Flammen der
Wachskerzen, während ihn Martial mit
großer Unzufriedenheit
anblickte. Der
Oberst war zu gewandt, als daß er ohne
weiteres die
kleine blaue Dame hätte anreden
sollen, die zu
seiner Rechten saß; dagegen
wandte er sich
zunächst an eine
ziemlich häßliche, links von ihm
sitzende Dame und sagte zu
ihr: "Das ist ein
herrlicher Ball, meine Dame!
Welche Pracht,
welches Leben! Auf Ehre, es sind hier nur
schöne Damen
versammelt. Warum
tanzen Sie aber nicht?... Sie haben gewiß recht
boshafte Körbe
ausgeteilt." Die
geschmacklose Unterhaltung, in die sich der
Oberst einließ, hatte nur den Zweck, seine Nachbarin zur Rechten
in ein
Gespräch, zu
ziehen. Sie blieb aber stumm und
in
Gedanken versunken und
schenkte ihm nicht die geringste
Aufmerksamkeit.
Der
Offizier wurde von einem
sonderbaren Staunen ergriffen, als er
die
Unbekannte wie in einer
vollkommenen Erstarrung sah. Er
bemerkte
sogar
Tränen in dem
blauen Kristall ihrer Augen, und sein
Staunen
kannte keine Grenzen mehr, als er
bemerkte, daß die
Aufmerksamkeit der betrübten
jungen Dame nur durch Frau von
Vaudremont
gefesselt wurde. "Geben Sie mir die Ehre, bei dem
nächsten
Contretanz meine
Tänzerin zu sein! Ich werde Sie gewiß nicht
an
diesen Platz
zurückführen; ich sehe neben dem Kamin eine
leere Gondole, und dort
sollen Sie für den Rest des
Abends ihren Sitz haben. Während so viele Damen hier zu
glänzen
suchen und die
Narrheit des Tages ihre Krönung
feiert,
begreife ich Sie nicht, warum Sie sich weigern wollten, die
Königin des
Balles zu
werden, wozu Ihnen Ihre Schönheit die
gerechtesten Ansprüche
bietet." "Mein Herr, ich werde nie
tanzen." Die
sanfte, aber kurze
Betonung der
lakonischen Antworten, die die
Unbekannte
gab, war so
entmutigend, daß sich der
Oberst gezwungen sah,
den Platz zu verlassen. Martial hatte während des Tanzens nicht
nur die
letzte Bitte des
Obersten erraten, sondern auch die
abschlägige Antwort, die er erhielt, weshalb er
lächelte und sein
Kinn
streichelte, indem er dabei den Diamant an
seinem Finger
erglänzen ließ. "Über den Mißerfolg des armen
Obersten. Er hat
einen Holzweg
betreten...." "Ich hatte Sie gebeten, den Diamant
abzunehmen,"
bemerkte darauf die
Gräfin. "Sie hören aber heute abend auch
gar
nichts, Herr Baron!..."
antwortete Frau von
Vaudremont sehr gereizt.
"Sehen Sie den
jungen Mann dort, der einen sehr schönen
Diamanten am
Finger trägt," sagte in
diesem Augenblicke die
Unbekannte
zu dem
Obersten, der sich eben entfernen
wollte. "Es ist
ein
prachtvoller Diamant,"
antwortete dieser. "Der junge Mann ist der
Baron Martial de la
Roche-Hugon, einer
meiner vertrautesten Freunde." "Ich
danke Ihnen, daß Sie mir
diesen Namen genannt haben," versetzte
die
Unbekannte. "Er scheint mir sehr
liebenswürdig!..." fuhr sie fort.
"Man
könnte glauben, daß er mit der
Gräfin von
Vaudremont
sehr
vertraut sei!..." versetzte die junge Dame und sah den
Obersten fragend an. "Er wird sich mit ihr
verheiraten." Die
Unbekannte erbleichte. "Zum
Teufel!" dachte der Krieger, "sie liebt
diesen
verdammten Martial!" "Ich glaubte, Frau von
Vaudremont stehe seit
längerer
Zeit in einem
Verhältnis mit Herrn von Soulanges?..." versetzte die
junge Dame, indem sie sich von einem inneren
Leiden erholte,
das für einen
Augenblick den
übernatürlichen Glanz ihres Antlitzes
aufgehoben
hatte. "Seit acht Tagen täuscht ihn die
Gräfin," antwortete der
Oberst. "Sie
müssen aber den armen Soulanges gesehen haben, als
er eintrat.... Er
versucht noch, den Glauben an sein Unglück
von sich
fernzuhalten...." "Ich habe ihn gesehen," sagte die Dame
in einem
vielsagenden Tone. Dann fuhr sie fort: "Mein Herr,
ich danke Ihnen für Ihre
Mitteilung!" Die
Betonung dieser Worte
galt einer
Verabschiedung gleich.--In diesem Augenblick ging der
Contretanz seinem
Ende
entgegen, und der aus dem Felde
geschlagene Oberst hatte
kaum noch Zeit, sich aus den
Festungslinien der Damen
zurückzuziehen,
indem er sich
gewissermaßen zum Trost sagte: "Sie ist
verheiratet!..."
"Nun, mutiger Kürassier!" sagte der Baron, indem er den
Obersten
mit sich in eine
Fensternische zog, um die reine Luft
des Gartens
einzuatmen. "Wie weit sind Sie
gekommen?" "Ha, der
Teufel, ich halte auf die guten
Sitten!..." antwortete der
Oberst.
"Ich will mich nur noch an
solche Damen
wenden, die
ich
heiraten kann....
Überdies, Martial, hat sie mir
deutlich erklärt,
daß sie nicht
tanzen wolle."
"Oberst, verwetten Sie Ihren
Apfelschimmel
gegen hundert Napoleons, daß sie heute abend noch mit mir
tanzt?" "Abgemacht ..." sagte der
Oberst und reichte dem
Gecken
die Hand.
"Unterdes werde ich zu Soulanges gehen, der
vielleicht
diese Dame kennt.... Es
schien mir, als wäre sie
hinsichtlich
mancher Dinge unter richtet." "Mein
Tapferer, Sie haben
verloren!" sagte
Martial lachend; "meine Augen sind eben mit den ihrigen
zusammengetroffen
und--ich verstehe mich
darauf.... Aber,
Oberst, Sie
werden doch nicht
böse
werden, wenn sie mit mir tanzt, nachdem Sie einen
Korb empfangen haben?" "Nein, nein; der lacht am
besten, der
am
längsten lacht!...
Übrigens, Martial, bin ich ein guter Spieler
und ein guter Feind, weshalb ich Dich
darauf aufmerksam mache,
daß sie Diamanten liebt." Nach
diesem Gespräch trennten sich die
beiden Freunde
abermals. Der
Oberst begab sich zum
Spielsalon und
bemerkte den
Grafen von Soulanges an einem
Bouillottetische. Obgleich zwischen
den
beiden Obersten nur jene
Freundschaft des
äußerlichen Umgangs bestand,
wie sie durch die
Gefahren des Krieges und die Pflichten
eines
gleichen Dienstes herbeigeführt wird, schmerzte es den
Kürassier-Oberst dennoch,
den
Grafen von Soulanges, den er als einen
klugen jungen
Mann
kannte, bei einem Spiel zu
finden, das ihn
zugrunde
richten
konnte. Die
Haufen von Gold und Banknoten, die auf
dem
unglückseligen grünen Tisch lagen, bezeugten die Wut des
Spiels.
Ein Kreis
schweigender Männer umstand die ernsten Spieler, die beim
Bouillotte saßen.
Einige Worte
wurden hier und da laut, wenn
man aber die
unbeweglichen Spieler sah, so hätte man glauben
sollen, daß sie nur mit den Augen sich
unterhielten. Als
der
Oberst, der durch die
bleifarbene Blässe des Herrn von
Soulanges
erschreckt wurde, sich
diesem näherte, war der Graf eben
gewinnender Teil. Der
österreichische Gesandte und ein berühmter Bankier erhoben
sich, nachdem sie
bedeutende Summen verloren hatten. Der Graf von
Soulanges wurde noch finsterer, als er es
vorher gewesen war,
während er eine
ungeheuere Menge Gold und Banknoten einstrich. Er
zählte seinen Gewinn nicht
einmal. Ein
bitterer Spott
zeigte sich
auf
seinen Lippen. Er
schien das Glück und das Leben
zu
bedrohen, anstatt ihnen zu
danken, wie so viele
andere
getan haben
würden. "Mut," sagte der
Oberst zu ihm; "Mut,
Soulanges!" Dann glaubte er ihm einen
wahren Dienst zu leisten,
indem er ihn vom Spiel wegführte und sagte:
"Kommen Sie,
ich habe Ihnen eine angenehme Neuigkeit
mitzuteilen, aber nur unter
einer Bedingung." Der Graf von Soulanges erhob sich rasch. Er
schob
seinen ganzen Gewinn höchst sorglos in sein
Taschentuch, das
er auf
krampfhafte Weise
zusammenzog. Sein Gesicht
zeigte einen so
verzweifelten Ausdruck, daß
keiner seiner Mitspieler eine
Äußerung der
Mißbilligung
über die
abgebrochene Partie zu tun wagte, und die Züge
der übrigen
schienen sich sogar noch zu erheitern, als seine
finsteren und
unwilligen Blicke aus dem Kreis
verschwanden, den eine
Bouillote-Lampe um den Tisch beschrieb. Ein
Diplomat, der
bisher unter
den
Zuschauenden gestanden hatte, sagte indes, als er den Platz
einnahm, den der
Oberst verlassen hatte: "Diese
verteufelten Soldaten verstehen
sich doch
untereinander, wie die
Weißkäufer auf einem Jahrmarkt!" Ein
einziges bleiches und verlebtes Gesicht
wandte sich gegen den neuen
Teilnehmer am Spiel, indem es ihm einen Blick
zuwarf, der
erglänzte und erlosch, wie das Feuer eines Diamanten, den man
spielen läßt.
Dieses Gesicht war das des Fürsten von
Bénévent.
"Mein
Lieber!" sagte der
Oberst zu Soulanges, den er mit
sich in eine Ecke gezogen hatte, "heute
Morgen hat der
Kaiser mit
großem Lobe von Ihnen
gesprochen, und Ihre
Beförderung
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