Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 13
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in der Garde ist nicht mehr
zweifelhaft. Der Herrscher hat
ausgesprochen, daß
diejenigen, die während des Feldzuges in Paris
zurückgeblieben
wären, nicht als in Ungnade
gefallen angesehen
werden dürften.... Nun...?"
Der Graf von Soulanges
schien nichts von
diesen Worten verstanden
zu haben. "Nun hoffe ich," versetzte der
Oberst, "daß Sie
mir sagen
werden, ob Sie die
kleine allerliebste Person kennen,
die am Fuße des
Kandelabers sitzt." Bei
diesen Worten leuchtete
aus den Augen des
Grafen ein
ungewöhnliches Feuer. Er ergriff
mit
außerordentlicher Heftigkeit die Hand des
Obersten und sagte mit
einer
offenbar erregten Stimme zu ihm: "Mein
tapferer Kamerad, wenn
Sie es nicht wären ... wenn ein Anderer diese Frage
an mich
richtete ... so würde ich ihm mit
diesem
Haufen Goldes den Schädel
zerschmettern.... Verlassen Sie mich, ich bitte
Sie darum.... Ich
möchte mir
lieber heute Abend eine Kugel
durch das Hirn jagen, als.... Ich hasse alles, was ich
sehe ... daher will ich auch
sogleich fort; denn diese
Freude, diese Musik, diese lachenden
Schafgesichter sind mir
grauenhaft." "Mein
armer
Freund..." sagte der
Oberst mit sanfter
Stimme und drückte
freundschaftlich die Hand des
Grafen, "Sie sind so aufgeregt... Was
würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteilte, daß Martial jetzt
noch so wenig an Frau von
Vaudremont denkt, daß er
sich
vielmehr in jene
kleine Dame
verliebt hat?" "Wenn er
mit ihr spricht," sagte Soulanges, indem er vor Wut seine
Worte stotternd
vorbrachte, "so werde ich ihn
zusammenklappen wie eine
Brieftasche, und verkröche er sich unter dem Rock des Kaisers...."
Bei
diesen Worten sank der Graf halb
ohnmächtig in den
Armstuhl, zu dem ihn der
Oberst geführt hatte.
Dieser zog
sich langsam
zurück, nachdem er bemerkt hatte, daß Herr von
Soulanges von einem zu
heftigen Zorn ergriffen sei, als daß
ihn die Scherze oder die
Sorgfalt einer
oberflächlichen Freundschaft zu
beruhigen
vermöchten. Als sich der
schöne Kürassier in den
großen
Tanzsaal begab, war Frau von
Vaudremont die erste, auf die
seine
Blicke fielen. Er
gewahrte in ihren
gewöhnlich so ruhigen
Zügen
einige Spuren einer
schlecht verhehlten Aufregung. Der
Oberst bemerkte
einen
leeren Stuhl neben ihr und eilte zu ihr hin.
"O, es ist eine
Kleinigkeit, Oberst. Ich
wollte mich
eigentlich
schon von hier
entfernt haben, denn ich habe
versprochen, auf
dem Ball der
Großherzogin von Berg zu
erscheinen, und
vorher
muß ich noch einen
Besuch bei der Fürstin von
Wagram
machen. Herr de la
Roche-Hugon weiß es, aber er belustigt
sich damit, noch immer mit den alten
Witwen von
früheren
Zeiten zu schwatzen." "Das ist nicht die Ursache Ihrer
Unruhe
.... Ich wette hundert Louisdors, daß Sie hier bleiben." "Bösewicht!"
versetzte die
schöne Gräfin und
schlug mit ihrem
Fächer auf
die
Finger des
Oberst. "Nun, woran
dachte ich denn?... Ich
bin fähig, Sie zu
belohnen, wenn Sie die
Wahrheit erraten."
"Der Dame, die neben dem
Kandelaber sitzt ..."
antwortete der
Oberst und deutete nach der Ecke, in der die
schöne
Unbekannte saß, die
keinen Blick von der
Gräfin wandte. "Ja,
Sie haben es erraten!"
antwortete die Kokette und verbarg ihr
Antlitz
hinter ihrem
Fächer, indem sie sich stellte, als
spiele
sie mit demselben. "Die alte Frau von Marigny, die, wie
Sie
wissen, boshaft ist wie ein alter Affe," fuhr sie
fort, nachdem sie einen
Augenblick geschwiegen hatte, "hat mir eben
gesagt, daß Herr de la
Roche-Hugon einige Gefahr laufen würde,
wenn er der
Unbekannten den Hof
machen wollte, die sich,
wie ein
Störenfried, auf
diesem Balle gezeigt hat. Ich
möchte
lieber den Tod sehen, als
dieses Antlitz, das so grausam
schön und
zugleich so
bleich, so
unbeweglich ist, wie eine
Geistererscheinung. Frau von Marigny," fuhr sie dann fort, "die auf
den
Bällen erscheint, um alles zu sehen, während sie zu
schlafen scheint, hat mich
ungemein beunruhigt. Gewiß, Martial soll mir
den
Possen, den er mir
gespielt, teuer
bezahlen. Ersuchen Sie
ihn indes,
Oberst, da er Ihr
Freund ist, mir
keinen
Kummer zu
machen." "Ich habe eben mit einem Manne
gesprochen,
der an
nichts weniger denkt, als ihm eine Kugel durch
den Kopf zu jagen, wenn er mit der kleinen Dame
spricht. Und jener Mann, meine Dame, hält sein Wort. Indes
kenne ich Martial.
Gefahren ermutigen ihn nur.
Überdies haben wir
eine Wette
miteinander gemacht...." Diese Worte
sprach der
Oberst mit
leiser Stimme. "Sollte es wahr sein?..."
antwortete Frau von
Vaudremont,
während sie einen
gefallsüchtigen Blick auf ihn
richtete. "Würden Sie
mir die Ehre
erweisen, bei dem
nächsten Contretanz mit mir
anzutreten?..." "Nicht bei dem
ersten, aber bei dem zweiten; jetzt
will ich erst sehen, was aus
dieser Intrige
werden kann,
und will
wissen, wer die
kleine blaue Dame ist. Sie
sieht sehr
geistreich aus." Der
Oberst erriet, daß Frau von
Vaudremont jetzt
allein sein
wollte, und entfernte sich, zufrieden, den
beabsichtigten Angriff auf
geschickte Weise
begonnen zu haben. Es gibt
bei allen
Bällen Damen, die, ähnlich der Frau von Marigny,
das Amt alter Seemänner
übernehmen, die am Ufer des
Meeres
den Stürmen zuschauen, mit denen sich junge
Matrosen herumschlagen. Frau
von Marigny, die an den
Personen dieses Auftritts Teil zu
nehmen schien, vermochte nun in
diesem Augenblick sehr
leicht den
grausamen Kampf zu erraten, der in dem
Herzen der
Gräfin
vor sich ging. Vergebens
fächerte sich die junge Kokette auf
die
anmutigste Art Kühlung zu, vergebens
lächelte sie den
jungen
Leuten entgegen, von denen sie begrüßt wurde, und
wandte alle
weibliche List an, um ihre Aufregung zu verbergen, die alte
Witwe, eine der
klügsten Herzoginnen am Hofe Ludwigs XV.,
schien
die
Geheimnisse zu
durchblicken, die sich
hinter den Zügen der
Gräfin bargen. Die alte Dame
schien fast jene
unmerklichen Bewegungen
des
Augensterns wahrzunehmen, die die Wallungen des Herzens
verraten. Die
leichtesten Falten, die die weiße und reine Stirn runzelten, das
unmerkliche Zittern der Züge, das Spiel der
anklägerischen Augenbrauen, die
fast
unsichtbare Bewegung der
Lippen, dies alles wußte die alte
Herzogin so gut zu lesen, wie die
geschriebenen Worte eines
Buches. Die Kokette außer
Dienst saß in einem
Armstuhl, den
sie
vollkommen ausfüllte, und plauderte mit einem
Diplomaten, der sie
aufgesucht hatte, weil sie in
unvergleichlicher Weise Anekdoten vom alten
Hofe
erzählen konnte, aber sie
beobachtete dabei mit
ununterbrochener Aufmerksamkeit
die junge Kokette, die ihr wie eine neue Auflage ihres
eigenen Ichs
vorkam. Sie fand sie ganz nach ihrem Geschmack,
als sie sah, daß sie so gut ihren
Kummer verberge
und die Schmerzen ihres Herzens zu verhehlen wisse. Frau von
Vaudremont fühlte sich in der Tat
ebenso schmerzlich ergriffen, als
sie sich
heiter stellte. Sie hatte
geglaubt, in Martial einen
Mann von
Talent anzutreffen, der ihr Leben durch die Genüsse
des Hofes, nach denen sie sich
sehnte, verschönern sollte. Sie
erkannte in
diesem Augenblick einen
Irrtum, der
ebenso grausam für
ihren Ruf, wie für ihre
Eigenliebe war. Es ging ihr,
wie den übrigen
Frauen jener
Epoche, indem die
plötzliche Regung
der
Leidenschaften die
Lebhaftigkeit der Gefühle nur vermehren
konnte. Die
Herzen, die viel und schnell leben,
dulden nicht weniger, als
die, die sich in einer
einzigen Leidenschaft verzehren. Mehr als
ein
Fächer verbarg
damals kurze, aber
schreckliche Qualen. Die
Vorliebe
der
Gräfin für Martial war
allerdings erst Tags zuvor
entstanden,
allein auch der
unerfahrenste Chirurg weiß, daß die
Abtrennung eines
lebenden Gliedes weit
schmerzhafter ist, als die eines
abgestorbenen. Bei
Frau von
Vaudremonts Neigung zu Martial kamen die
Aussichten auf
die Zukunft hinzu, während ihre frühere
Leidenschaft ohne
Hoffnung war
und durch die
Gewissensbisse des
Grafen von Soulanges vergiftet wurde.
Die alte
Herzogin wußte alles zu erraten und beeilte sich
nun, den Gesandten zu entlassen, von dem sie
belagert wurde,
denn in Gegenwart
entzweiter Geliebten und Liebhaber erbleicht jedes
andere
Interesse,
selbst bei einer alten Frau. Frau von Marigny
richtete
daher, um den Kampf
anzufachen, einen
sardonischen Blick auf Frau
von
Vaudremont. Dieser schreckliche Blick ließ die junge Kokette
befürchten,
ihr Los möge in die Hände der Witwe geraten. Es
gibt in der Tat
Blicke, die ein Weib dem
andern
zuwirft, die gleichsam tragische Fackeln sind,
welche den
nächtlichen Ausgang
eines
Dramas beleuchten. Man müßte die
Exherzogin genauer
kennen, um
den
ganzen Schrecken zu
würdigen, den das Spiel ihrer
Physiognomie
der
Gräfin einflößte. Frau von Marigny war hoch gewachsen, und
wenn man sie sah, so mußte man sagen: "Die Frau
ist gewiß
hübsch gewesen!" Sie verbarg die Runzeln ihrer
Wangen
durch eine so
starke Auflage von Rot, daß sie fast
gar nicht
sichtbar wurden, allein ihre Augen empfingen
keinen künstlichen
Glanz durch
dieses satte
Karmin, sondern
wurden dadurch nur noch
düsterer. Sie trug eine Menge von Diamanten und
kleidete sich
mit
hinreichendem Geschmack, um nicht
lächerlich zu
erscheinen. Ihr Mund
war durch ein
künstliches Gebiß verschönt und daher
keineswegs eingefallen,
sondern
zeigte nur einen
ironischen Zug, der ihr eine
Ähnlichkeit
mit
Voltaire gab. Ihre
spitze Nase deutete auf
scharfen Witz,
aber dennoch
milderte die
ausgesuchte Feinheit ihres Benehmens den Spott
ihrer
Einfälle so sehr, daß man sie nicht der Bosheit
beschuldigen konnte. Ein
triumphierender Blick belebte die
beiden grauen Augen
der alten Dame und
schien den Salon zu
durchfliegen, um
das Rot der
Hoffnung auf die
bleichen Wangen der kleinen
Dame zu
ergießen, die zu den Füßen des
Kandelabers seufzte.
Diesen durchdringenden Blick
begleitete ein Lächeln, das zu sagen
schien:
"Das hatte ich Ihnen bereits verheißen!" Diese
unvorsichtige Enthüllung einer
Verbindung, die
zwischen Frau von Marigny und der
Unbekannten bestand,
vermochte dem geübten Auge der
Gräfin von
Voudremont nicht zu
entgehen. Sie erblickte ein Geheimnis und
wollte es
durchdringen. Die
Neugierde
verringerte ihren
vorübergehenden Schmerz. In
diesem Augenblick hatte der
Baron de la
Roche-Hugon die ganze Reihe der alten
Witwen
durchgemacht, um den Namen der
blauen Dame zu
erfahren, aber
gleich vielen Altertümlern hatte er sein
ganzes Latein bei
diesen
unglücklichen Nachforschungen verloren. In
seiner Verzweiflung hatte er sich sogar
an die
Gräfin von
Gondreville gewandt; aber auch von ihr
nur wenig
befriedigende Antwort
erhalten: "Es ist eine Dame, die
mir von der
ehemaligen Herzogin von Marigny
vorgestellt wurde...." Nun
wandte sich der
Requêtenmeister schnell zu dem Armstuhle, den die
alte Dame einnahm, und
überraschte sie bei jenem Blick des
Einverständnisses, der mit der
Unbekannten gewechselt wurde. Die Färbung, die
sich über die
Wangen der
einsamen Dame ergoß, verlieh ihr
einen solchen Glanz, daß der
Requêtenmeister, bewegt durch den Anblick
einer so mächtigen Schönheit, zu Frau von Marigny zu
treten
beschloß, obgleich er seit einiger Zeit
ziemlich schlecht mit ihr
gestanden hatte. Als die
Herzogin den Baron um ihren
Armstuhl
herumschweifen sah,
lächelte sie mit
sardonischer Bosheit und blickte mit
einer so
triumphierenden Miene auf Frau von
Voudremont, daß der
Oberst darüber
lächelte. "Sie nimmt eine
freundliche Miene an, die
alte
Zigeunerin," dachte er, "sie wird mir ohne Zweifel einen
bösen Streich spielen
wollen." "Meine Dame," sagte er, "wie man
mir
gesagt hat, sind Sie
beauftragt, über einen
köstlichen Schatz
zu
wachen." "Sehen Sie mich für einen schwarzen Hund mit
glühenden Augen an?"
fragte die alte Dame und
ergötzte sich
für einen
Augenblick an der
Verlegenheit des
jungen Mannes. "Aber
von welchem Schatze
sprechen Sie?" fuhr sie dann mit einer
süßen
Stimme fort, durch die Martial neue
Hoffnung erhielt. "Von
der kleinen
unbekannten Dame, die durch den Neid der
koketten
Damen in jene Ecke verdrängt ist ... Sie sind ohne
Zweifel mit ihr bekannt?...." "Ja," sagte die
Herzogin und
lächelte
wieder boshaft. "Warum tanzt sie nicht? Sie ist so schön!
Wollen Sie, daß wir
Friede miteinander schließen? Wenn Sie mich
über das
belehren wollen, was ich gern
erfahren möchte, so
gebe ich Ihnen mein Ehrenwort
darauf, daß Ihr
Gesuch um
Zurückgabe der Waldungen von Marigny bei dem
Kaiser kräftig
unterstützt
werden soll." "Herr Baron,"
antwortete die alte Dame mit einem
trügerischen Ernst,
"fuhren Sie mir die
Gräfin von
Vaudremont zu.
Ich
verspreche Ihnen, daß ich ihr das ganze Geheimnis enthüllen
will, das
unsere Unbekannte so anziehend macht. Alle
Männer, die
auf dem Ball
anwesend sind,
scheinen ebenso neugierig
geworden zu
sein, wie Sie. Aller Augen richten sich
unwillkürlich nach jenem
Kandelaber, neben dem das arme Kind so
bescheiden sitzt. Sie
erntet alle
Huldigungen, die man ihr hat entreißen
wollen. Der
muß glücklich sein, der mit ihr
tanzen wird!..." Bei
diesen
Worten unterbrach sie sich, indem sie einen Blick auf die
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