Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 2
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gleichem Takt mit
seinem eigenen
schlugen. Man
erkannte und
schätzte
seine
Begabung. Dieser arme Bursche von
siebenundzwanzig Jahren besaß die
Einfalt eines
sechzehnjährigen Jünglings. Jedem
andern würde die
diabolische Miene
des Elias Magus
aufgefallen sein. Das Beben der
Bartspitzen, die
Haltung des
Kopfes wären ihm nicht entgangen. Wie ein Schüler,
der eine Dame begleiten darf,
stolzierte Fougères mit
freudestrahlendem Gesicht
durch die Straßen. Er begegnete
seinem ehemaligen Mitschüler Josef
Bridau,
einem vom Unglück
verfolgten, vielversprechenden Talente. Da
Bridau, wie er
erklärte, noch ein paar Sous in der
Tasche hatte, nahm
er
Fougères mit in die Oper. Aber
Fougères sah
nichts
von dem
Ballet, hörte
nichts von der Musik; er entwarf
Bilder, er malte. Noch während der
Vorstellung verabschiedete er sich
von
seinem Freunde und eilte nach Hause. Er fing an,
beim
Schein der Lampe zu
skizzieren, erfand dreißig
Bilder voll
von
Reminiszenzen und hielt sich für ein Genie.
Gleich am
andern Morgen kaufte er
Farben und
Leinwand in allen
Größen.
Brot und Käse stellte er auf den Tisch,
füllte den
Krug mit
frischem Wasser und
häufte Brennholz auf. Dann ging
er an die
Arbeit. Er hatte
einige Modelle, und Magus
lieh ihm ein paar
Gewänder. Nach zwei Monaten
vollkommener Zurückgezogenheit
hatte der Bretone vier Gemälde vollendet.
Wieder bat er
Schinner
um sein
Urteil und lud auch Josef
Bridau dazu ein.
Die
beiden Maler
bezeichneten die
Bilder als treue
Kopien der
Holländischen Landschaften und der
Interieurs von Metsu, während das
vierte
eine mißratene
Nachbildung von
Rembrandts Anatomie sei.
"Nichts als
Nachahmungen,"
sagte
Schinner; "Fougères wird es
schwerlich dazu bringen, etwas Eigenes
zu geben."
Fougères ließ den Kopf
hängen wie ein Schaf
im Regen. Dennoch ließ er sich
einige technische Winke geben
und arbeitete
danach noch an
seinen Bildern, bevor er sie
zu Elias brachte.
Dieser zahlte ihm
fünfundzwanzig Francs für das
Stück.
Fougères verdiente dabei
nichts, verlor aber auch
nichts, denn
er lebte sehr
anspruchslos. Wieder nahm er nun seine
Spaziergänge
auf, um das Schicksal
seiner Bilder zu verfolgen. Da hatte
er eine
merkwürdige Halluzination: seine so klar und genau
gemalten
Bilder, die von der
Haltbarkeit des
Eisenblechs und
glänzend wie
Porzellan waren,
schienen wie von einem
grauen Nebel überzogen; sie
glichen alten
Gemälden. Elias war
ausgegangen, und so
konnte sich
Fougères keine Erklärung
dieses Phänomens
einholen. Er
dachte, es müsse
eine Täuschung sein. Er
kehrte heim und fing von neuem
an, alte
Bilder zu malen. Nach
sieben Jahren unermüdlicher, eifriger
Arbeit brachte
Fougères es so weit, daß er
erträgliche Bilder
komponieren und ausführen
konnte. Er
leistete etwas
Mittelmäßiges, wie viele
andere Maler auch. Elias
kaufte und verkaufte alle diese
Bilder
des armen
Bretonen, der
jährlich mühsam hundert Louis verdiente, während
er kaum
zwölfhundert Francs verbrauchte. Bei der
Ausstellung des
Jahres
1829
wurden Leon de Lora,
Schinner und
Bridau, die von
großem Einfluß waren und an der
Spitze der
künstlerischen Bewegung
standen, so ergriffen von der
Beharrlichkeit und der Armut ihres
einstigen Kameraden, daß sie eines
seiner Bilder zum
großen Salon
der
Ausstellung zuließen. Dies Gemälde
zeigte einen
jungen Sträfling, dem
die Haare geschoren
wurden. Er saß
zwischen einem
Priester und
einem
jungen und einem alten Weibe, die weinten, während ein
Schreiber ein
gestempeltes Schriftstück las. Unberührt standen auf einem
schmutzigen
Tische Speisen;
zwischen den
Gitterstäben eines
hochgelegenen Fensters fiel das
erste
Tageslicht herein. Ein Etwas in
diesem Bilde mußte die
Bürger erschauern lassen--und sie
erschauerten. Unverkennbar war
Fougères von
Gérard
Dous bekanntem
Meisterwerk beeinflußt worden; er hatte die
Gruppe im
Gemälde "Die
wassersüchtige Frau" zum Fenster gedreht, statt sie von
vorne zu
zeigen und die Sterbende durch den
Verurteilten ersetzt;
es war
dasselbe fahle Gesicht,
derselbe Blick,
derselbe Aufschrei zu
Gott. Statt des
flämischen Arztes hatte er den
schwarzgekleideten Schreiber
mit
seiner kalten Amtsmiene hingemalt, und dem Mädchen auf dem
Bilde
Gérard Dous ein greises Weib zugesellt.
Beherrscht wurde die
Gruppe von dem
brutal gleichgültigen Gesicht des Henkers. Das Plagiat
war
raffiniert ausgeführt, und niemand
erkannte es als solches. Der
Katalog vermerkte: "No. 510. Grassou de
Fougères, Pierre, 2 Rue
de Navarin.
Toilette eines im Jahre 1809 zum Tode
verurteilten
Verbrechers". Trotz
seiner Talentlosigkeit wurde dem Bilde ein
beispielloser Erfolg
zuteil; erinnerte es doch an den Fall der
Heizer von
Mortagne. Das
Publikum sammelte sich. Tag für Tag vor dem
Bilde, das die Sensation von Paris bildete. Auch Karl X.
blieb davor
stehen. Madame, der man von dem
kümmerlichen Dasein
des
Bretonen erzählt hatte,
begeisterte sich für ihn. Der
Herzog
von Orleans bemühte sich um das Gemälde. Von
Prälaten hörte
Madame la
Dauphine, daß das Bild eine gute Moral
enthalte,
und es war in der Tat von
sympathischen religiösen Gedanken
erfüllt.
Monseigneur le Dauphin
bewunderte, wie der Staub auf den
Mauersteinen gemalt sei, worin er
übrigens irrte, denn
Fougères hatte
durch grünliche Reflexe die
schimmlige Feuchtigkeit der Wände
andeuten wollen.
Madame erwarb das Bild für tausend
Francs, und der Dauphin
erteilte dem
Künstler den Auftrag auf ein zweites, ähnliches.
Fougères,
dessen Vater 1799 für die Sache des
Königs gefochten hatte,
wurde von Karl X. durch
Verleihung des
Ehrenkreuzes ausgezeichnet, während
Josef
Bridau, der große
Künstler, leer ausging. Der
Minister des
Innern übertrug Fougères die
Ausführung zweier Kirchengemälde. Somit bedeutete diese
Ausstellung des Salon für
Pierre Grassou
Reichtum, Ruhm und Zukunft.
Schöpfer sein, heißt am langsamen Feuer
schmoren; nachahmen, das heißt
leben! Eine
Goldquelle hatte sich Grassou
eröffnet. In
seinem skrupellosen
Mißbrauch der Kunst war er
wieder einmal ein
Beispiel dafür,
daß die
überwältigende Mehrheit der Unfähigen in unseren Tagen überall
das Aufkommen der
wahrhaft Begabten erschwert und einen
erbarmungslosen Kampf
gegen das wirkliche
Talent führt.
Fougères wunderte sich
selbst über
seinen Erfolg, und seine
Bescheidenheit und
Schlichtheit ließen Neid und
Mißgunst verstummen. Außerdem hatte er alle
Grassous, die schon ihr
Glück gemacht
hatten, auf
seiner Seite, mehr aber noch jene,
die
darauf hofften.
Einige waren von der
Willenskraft dieses Mannes,
den
nichts hatte
niederwerfen können, begeistert und
sagten: "Man muß
seinen Willen zur Kunst
anerkennen! Grassou hat sein Glück nicht
gestohlen; der arme Kerl hat sich zehn Jahre lang hart
darum
geschunden!" Alle
Glückwünsche, die dem Maler
dargebracht wurden, klangen
aus in
diesem Ausruf: "Der arme Kerl!" Vom Mitleid wird
ja
ebensoviel Mittelmäßigkeit erhoben, als vom Neid Größe und Bedeutung
gestürzt. Die Zeitungen
hatten in ihren
Kritiken nicht mit
bitterer
Schärfe gespart, aber
Fougères schluckte sie,
ebenso wie die
verbessernden
Ratschläge seiner Kameraden, mit
Engelsgeduld hinunter. Nachdem er sich nun
im
Besitz von
fünfzehntausend Francs sah, die sauer genug
verdient
worden waren,
richtete er sich in der Rue de Navarin
seine Wohnung und sein Atelier ein und gab sich an
das vom Dauphin in Auftrag
gegebene Gemälde. Auch die vom
Ministerium bestellten beiden Kirchenbilder lieferte er so genau am
festgesetzten
Termin ab, daß der
Minister ebenso wie seine Kasse von
der
unerwarteten Pünktlichkeit des Künstlers aufs höchste
überrascht und in
Verlegenheit gebracht wurde.
Allein den
ordnungsliebenden Leuten ist das Glück
wohlgesonnen. Hätte Grassou mit der
Ablieferung gesäumt, so wäre er
wohl infolge der
Julirevolution niemals bezahlt
worden. Mit
siebenunddreißig Jahren
hatte
Fougères für Elias Magus
nahezu zweihundert Bilder fabriziert. Sie
blieben zwar
gänzlich unbekannt, aber er war zufrieden damit, und
diese
Arbeit hatte sein
Schaffen so zum
Handwerk gemacht, daß
die
Künstler die Achseln zuckten. Die
Bürger liebten ihn. Die
Freunde schätzten
Fougères wegen
seines biederen und
mitfühlenden Wesens, wegen
seiner Freundlichkeit und
Anhänglichkeit. Während sie seine Palette
mißachteten, achteten
sie doch den Mann, der sie hielt. "Ein
Jammer, daß
Fougères dem
Laster des
Malens verfallen ist,"
sagten die Freunde
untereinander. Trotz
seiner Talentlosigkeit war Grassou ein
schätzenswerter Berater, wie
es auch in der Literatur Leute gibt, die
selbst kein
brauchbares Buch
zustandebringen, aber einen guten Blick für die
Fehler
anderer Werke haben. Dennoch war
zwischen dieser Art
literarischer Kritik
und der
Fougères ein
Unterschied; Grassou war im
höchsten Grade
empfänglich für das
Schöne, er war dankbar dafür, und so
kamen seine
Ratschläge aus einem
aufrichtigen Empfinden, dem man
wirklich
vertrauen
durfte. Seit der
Julirevolution schickte Fougères zu jeder
Ausstellung
ein Dutzend
Bilder, von denen vier oder fünf durch die
Jury
zugelassen wurden. Der Maler lebte äußerst
bescheiden und hielt
sich zur Bedienung nur eine
Haushälterin. Seine einzige
Unterhaltung fand
er in
Besuchen bei
seinen Freunden, im Anschauen von
Kunstsammlungen
und hin und
wieder in einer kleinen Reise, die ihn
aber nie über die Grenzen
Frankreichs hinausführte. Er
beabsichtigte aber,
sich demnächst in der Schweiz neue
Anregung zu holen. Unser
Künstler war ein
durchaus einwandfreier Staatsbürger, der
seiner Wehrpflicht genügte,
sich zu den
Musterungen einstellte und seine Steuern
ebenso wie
seine Miete mit
peinlicher Pünktlichkeit entrichtete. Da sein Leben in
Arbeit und
Sorgen aufgegangen war, hatte er keine Zeit
gefunden,
an die Liebe zu
denken. Dem armen
Junggesellen kam es
auch
garnicht in den Sinn, sein
einsames Leben
aufzugeben, und
da er nicht wußte, wie er sein Geld
nutzbringend anlegen
könne, brachte er jeweils die
Ersparnisse des
Quartals zu
seinem
Notar
Cardot. Als die Summe auf tausend Taler
angewachsen war,
legte
dieser sie als erste
Hypothek an. Der Maler wartete
auf den
glücklichen Augenblick, wo seine Papiere die imposante Summe
von
zweitausend Francs Rente
abwerfen würden, um sich das otium
cum dignitate des Künstlers zu geben und
Bilder zu malen,
oh, wirkliche,
vollendete Kunstwerke. Seine Zukunft,
seinen Traum von Glück,
seiner Hoffnungen Superlativ--wollt ihr ihn hören?
Mitglied des Instituts
werden
und die Rosette der Offiziere der
Ehrenlegion erwerben. Seite an
Seite mit
Schinner und Leon de Lora
sitzen, früher als
Bridau. Eine Rosette im Knopfloch
tragen! Welcher
Traum!--Welch kleiner Geist,
der nur an diese Dinge denkt!... Als
Fougères Schritte aus
der
Treppe vernahm, fuhr er sich durch das Haar, knöpfte
seine
flaschengrüne Sammetweste zu und war nicht wenig
entsetzt, als
er
gleich darauf ein Gesicht vor sich sah, das man
in der Sprache der
Ateliers treffend "Melone" nennt. Diese
Frucht
saß auf einem mit
blauem Tuch
bekleideten und mit einem
Gehänge
klingender Berlocks geschmückten Kürbis, dem zwei
Steckrüben, die man
nur
irrtümlicherweise als Beine
bezeichnen konnte, zum Gehen dienten. Die
Melone schnaufte wie ein
Walroß. Ein
echter Künstler hätte den
hiermit
charakterisierten kleinen
Flaschenhändler unverzüglich vor die Tür gesetzt, mit
dem
Bedauern, daß er
leider kein
Gemüse male.
Fougères aber
sah sich seine
Kundschaft erst, ohne eine Miene zu verziehen,
an, denn im Vorhemd des Herrn
Vervelle prangte ein Diamant
von tausend
Talern Wert. Der Blick, den hierauf
Fougères dem
Magus
zuwarf, bedeutete etwa: "Ein feister Brocken!", während Herr
Vervelle
die Stirn
runzelte. Der Ehrenmann
führte noch zwei
andere Gemüsesorten
in Gestalt
seiner Frau und
seiner Tochter mit sich. Die
Gattin glich mit ihrem
mahagonifarbenen Gesicht einer auf
unförmlichen Füßen
stehenden
Kokosnuß, die nur mit einem Kopf gekrönt und von
einem
Gürtel eingeschnürt war. Sie trug ein
gelbes Kleid mit
schwarzen
Streifen. Ihre
geschwollenen Hände
staken kokett in
unvorstellbaren Fausthandschuhen,
die einem
Korporal hätten gehören
können. Ihren
riesigen Hut
überfluteten
mächtige Straußenfedern, und ihre
runden massigen Schultern waren mit Spitzen
geschmückt. Dergestalt war die
elfenhafte Erscheinung der
Kokosnuß. Die Füße,
die man
treffender als
Wurzelklötze bezeichnen würde, quollen in sechs
Wülsten über die
Lackschuhe hervor. Wie waren sie nur in
die
Schuhe hineingekommen?! Man weiß es nicht. Ihr
folgte ein
junger, grün-gelber Spargel,
dessen kleinen Kopf eine von
Schleifchen gehaltene,
rüben-rote
Lockenfrisur zierte. Sie hatte
spindeldürre Arme, einen
leidlich weißen
Teint, der mit
Sommersproßen übersät war, große
Unschuldsaugen mit
fahlen
Wimpern, fast gar keine
Augenbrauen, einen
Florentiner Strohhut, den züchtig
zwei von
weißen Satinlitzen eingefaßte Rosetten garnierten, die roten Hände
der
Tugend und die Füße der
Mutter. Aus der
beglückten
Miene, mit der diese drei Wesen in dem Atelier des
Malers Umschau hielten, verriet sich ihre
ehrfürchtige Begeisterung für die
Kunst.
"Vervelle, er hat das
Ehrenkreuz!" flüsterte die Frau ihrem
Manne zu, als der Maler ihnen den
Rücken zuwandte. "Glaubst
du, ich würde
unsere Bilder von einem Maler ohne
Auszeichnung
malen
lassen?" sagte der
gewesene Flaschenhändler. Elias Magus
verabschiedete sich
von der Familie
Vervelle und ging. Grassou
begleitete ihn zur
Treppe. "Dreihunderttausend Francs späteres Erbteil, ein Haus in der Rue
Boucherat und ein
Landhaus in Ville d'Avray. Sie wären für
Lebenszeit versorgt," sagte Elias.
Dieser Gedanke
durchzuckte Grassous Gehirn wie
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