Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 7
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Schöße gestickt, die
vergoldeten Knöpfe waren
gleichfalls mit
Lilien geschmückt,
und auf den Schultern erblickte man
Knöpfe, um die
Epauletten
zu
befestigen. Hose und Rock des Greises waren von
königsblauem
Tuche, und in dem Knopfloch erblickte man ein
Ludwigskreuz. Das
entblößte Haupt des Greises war
gepudert, und in der Hand
trug er einen
dreieckigen Hut.
Übrigens schien er noch so
rüstig wie ein Fünfziger und sich einer kräftigen
Gesundheit zu
erfreuen. Seine Züge
deuteten gleichzeitig auf den gesetzten und offenen
Charakter der alten
Emigranten und auf die
freien und
leichten
Sitten, auf die heitern und sorglosen
Leidenschaften jener
Musketiere, die
vordem in den
Jahrbüchern der
Galanterie so berühmt waren. Seine
Bewegungen, sein
Benehmen deuteten darauf, daß er den
Ansprüchen seiner
Jugend noch nicht entsagt habe und
entschlossen sei, weder von
seinem Royalismus abzulassen, noch von
seiner Religion und
seiner Neigung
zu
Liebeshändeln. Ihm
folgte eine ganz
phantastische Gestalt, die man
in den
Vordergrund des
Gemäldes heben müßte, um sie richtig
zu schildern, die
jedoch nur eine
Nebenrolle spielt. Man denke
sich eine
trockene und
hagere Person, ebenso gekleidet wie
ersterer,
aber
gewissermaßen nur als
dessen Widerschein, oder, wenn man
lieber
will, als
dessen Schatten auftretend. Der Rock, der bei jenem
neu war,
erschien bei
diesem abgenutzt, der Puder in den
Haaren weniger weiß, die
goldenen Lilien weniger
glänzend, der
Verstand
schwächer, das Leben dem Endziel näher gerückt. Kurz, er
verwirklichte
auf
bewundernswürdige Weise
Rivarols witzigen Ausspruch in Bezug auf
Champcenetz:
"Er ist mein
Mondschein!" Er war nur
Doppelgänger des
andern,
aber blaß und arm, und
zwischen beiden war ein
Unterschied,
wie
zwischen dem
ersten und dem letzten
Abzuge einer
Lithographie.
Dieser stumme Greis war ein Geheimnis für den Maler und
blieb auch ein solches, denn er
sprach nicht und niemand
sprach von ihm. War er ein
Freund, ein armer
Verwandter,
ein Mann, der bei dem alten Stutzer blieb, wie ein
Gesellschaftsfräulein bei einer alten Dame? War er ein
Mittelding zwischen
Hund, Papagei und
Freund? Hatte er das
Vermögen oder auch
nur das Leben
seines Wohltäters gerettet? War er der Trim
eines neuen Kapitän Toby? An anderen Orten, als bei der
Baronin von
Rouville erregte er stets Neugierde, ohne sie je
zu
befriedigen. Der Mann, der von den
beiden Ruinen am
besten erhalten war, ging höflich auf die Baronin von
Rouville
zu, küßte ihre Hand und
setzte sich an ihre Seite;
der
andere begrüßte dieselbe und
setzte sich dann neben sein
Vorbild.
Adelaide stützte ihre
Ellenbogen auf die
Rückenlehne des Stuhles,
den der alte
Edelmann eingenommen hatte, und ahmte so, ohne
es zu
wissen, die
Stellung nach, die
Guérin auf
seinem
berühmten Gemälde der Schwester
Dido's gegeben hat. Die
Vertraulichkeit des
Edelmanns war die eines Bruders, und er nahm sich gewisse
Freiheiten gegen
Adelaide heraus, die dem
jungen Mädchen für den
Augenblick zu mißfallen
schienen. Dann warf er während
seines weiteren
Gesprächs auf
Hippolyt Schinner jene
schlauen und
feinen Seitenblicke, die
echt
diplomatische Blicke sind, und deren
Ausdruck stets eine kluge
Besorgnis
verrät. "Sie sehen hier
unsern Nachbarn," sagte die alte
Dame, indem sie auf
Hippolyt Schinner deutete. "Der Herr ist
ein bekannter Maler,
dessen Namen Ihnen trotz Ihrer
Gleichgültigkeit gegen
die
Künste bekannt sein muß." Der
Edelmann erkannte die Bosheit
seiner alten
Freundin darin, daß sie den Namen
verschwieg, und
begrüßte den
jungen Mann. "Gewiß!" sagte er, "ich habe schon
viel von Ihren
Gemälden sprechen gehört.... Das
Talent hat
schöne
Vorrechte, mein Herr," fuhr er dann fort, während er auf
Hippolyts rotes Band blickte, "und diese
Auszeichnung, die wir durch
unser Blut und lange
Dienstzeit erwerben müssen, erlangen Sie schon
in der
Jugend.... Allein die Arten des Ruhms sind
Schwestern."
Der
Edelmann faßte dabei an sein Kreuz des
heiligen Ludwig.
Hippolyt stotterte
einige Worte des Danks und schwieg dann
wieder,
indem er sich
begnügte, mit einer stets
wachsenden Begeisterung den
schönen
jungfräulichen Kopf zu
betrachten, der ihn entzückte. Bald versenkte
er sich ganz und gar in diese
Betrachtung und
vergaß
das tiefe Elend, das durch die Wohnung
angedeutet wurde, denn
für ihn war Adelaides Antlitz von einer
leuchtenden Atmosphäre umgeben.
Er
antwortete kurz auf die
Fragen, die an ihn gerichtet
wurden und die er
glücklicherweise hörte, denn es ist eine
eigentümliche Fähigkeit unseres Geistes, daß er sich bisweilen
gewissermaßen verdoppeln
kann. Wem ist es nicht schon
vorgekommen, daß er in
ein
angenehmes oder trauriges
Nachdenken versunken, die
Stimme seines Innern
hörte und doch zu
gleicher Zeit an einer
Unterhaltung teilnahm
oder ein Buch las? Es ist das ein
wundersamer Dualismus,
der oft dazu
beiträgt, daß wir die
Langweiligen mit mehr
Geduld ertragen. Seine
Hoffnung erfüllte ihn mit tausend
Gedanken an
das Glück, und er
wollte nichts beobachten, was ihn umgab,
denn er hatte noch ein
kindliches und
vertrauensvolles Herz. Nach
Verlauf einiger Zeit
bemerkte er, daß die alte Dame und
ihre Tochter mit dem alten
Edelmann spielten. Der Trabant des
Letzteren blieb
seinem Stande als
Schatten treu, stand
hinter seinem
Freunde,
betrachtete dessen Spiel und
antwortete auf die stummen
Fragen,
die der Spieler an ihn
richtete, durch
billigende Winke, die
nur eine
Wiederholung der fragenden
Bewegung seiner doppelgängerischen Verkörperung waren.
"Seit drei Monaten habe ich Ihnen nicht eine einzige
Partie
abgewinnen können..." sagte er. "Nein, nein...! Bleib mir gegenüber!
Palsambleu!
Ich verlöre zu viel, wenn ich dich nicht mehr vor
mir sähe." Endlich war das Spiel beendet, der
Edelmann zog
seine Börse und warf zwei
Louisdor auf den Tisch, während
er nicht ohne einigen
Unwillen sagte: "Vierzig Franken!
Gerade zwei
Louis...! Ha!
Teufel! Es ist elf Uhr...!" "Es ist elf
Uhr...!"
wiederholte die
stumme Person mit einem Blick auf
Hippolyt
Schinner. Der junge Mann hörte diese Worte etwas
deutlicher als
alle übrigen und
dachte, daß es Zeit sei, sich zu
entfernen. Er
kehrte nun in die Welt der
gewöhnlichen Ideen
zurück und fand
einige Gemeinplätze, um
wieder das Wort
nehmen
zu
können, begrüßte die Baronin, ihre Tochter, die
beiden Unbekannten
und ging, während er nur an das erste Glück der
wahren Liebe
dachte, ohne daß er sich die kleinen
Ereignisse
zu
erklären suchte, die während
dieses Abends unter
seinen Augen
vorgegangen waren. Am folgenden Tage
fühlte der junge Maler die
heißeste Sehnsucht,
Adelaide wiederzusehen, und wäre er
seiner Leidenschaft gefolgt,
so hätte er schon um 6 Uhr morgens, als er
nach
seiner Werkstatt eilte, seine
Nachbarinnen besucht. Er besaß indes
noch
Vernunft genug, um den
Nachmittag zu
erwarten; sobald er
aber glaubte, bei Frau von
Rouville eintreten zu
dürfen, eilte
er die
Treppe hinab, klingelte unter
lautem Herzpochen und bat
Fräulein Leseigneur, die ihm die Tür öffnete,
schüchtern um das
Bild des
Barons von
Rouville, während er
errötete, wie ein
junges Mädchen.
"Treten Sie doch ein!..." sagte
Adelaide zu ihm,
die ohne Zweifel
Hippolyt bereits die
Treppe von
seiner Werkstatt
herabkommen gehört und ihm
entgegengeeilt war. Der Maler
folgte ihr,
beschämt, außer Fassung, ohne zu
wissen, was er sagen
sollte,
vollkommen verwirrt durch das Glück,
Adelaide zu sehen, das
Rauschen
ihres
Gewandes zu hören, nachdem er den
ganzen Morgen gewünscht
hatte, in ihrer Nähe zu sein, nachdem er sich
hundertmal
erhoben hatte, um
hinabzueilen.... Das Herz besitzt die
wunderbare Macht,
auch den
unbedeutendsten Dingen einen
außerordentlichen Wert zu verleihen.
Welche
Freude ist es nicht für einen Reisenden, ein Kraut, ein
unbekanntes Blatt zu
finden, nachdem er sein
ganzes Leben an
eine
solche Nachforschung gewagt hat!
Ebenso verhält es sich mit
den
Nichtigkeiten in der Liebe! Die alte Dame war nicht
in dem Salon. Als das junge Mädchen mit dem Maler
allein war, brachte es einen Stuhl, um das Bild
herabzunehmen;
als es aber
bemerkte, daß es auf die Kommode
treten
müsse, um das Bild von dem Nagel
abzuhängen, wandte es
sich an
Hippolyt und sagte
errötend: Ein
Gefühl der Scham,
das sich im
Ausdruck der Züge und im Ton der
Stimme Adelaidens verriet, war der wahre Grund ihrer Bitte;
Hippolyt
begriff sie und warf ihr einen jener
verständigen Blicke zu,
die die süßeste Sprache der Liebe sind.
Adelaide sah, daß
sie von dem Maler
verstanden sei und
schlug daher ihre
Augen mit einer
Bewegung des Stolzes
nieder, dessen Geheimnis
allein
die
jungen Mädchen
besitzen. Der Maler fand kein Wort zu
sagen, war fast
eingeschüchtert und nahm das Gemälde herab, um
es mit ernsten Blicken am Fenster zu
betrachten. Dann ging
er, ohne etwas anderes zu
Fräulein Leseigneur zu sagen, als:
"Ich werde es Ihnen bald
wiederbringen." Beide
hatten während
dieses
flüchtigen Augenblicks eine von jenen lebhaften
Herzensregungen gefühlt, deren Wirkung
auf den Geist mit jener
Bewegung verglichen werden kann, die
ein Stein
hervorbringt, den man in einen See wirft, die
süßesten Gedanken entstehen und
folgen einander, endlos, vielfach, ohne Ziel,
und das Herz,
ebenso erregt wie jene
kreisförmigen Wellen, die
sich noch lange auf der
Oberfläche des Wassers
zeigen und
sämtlich von dem
Punkte ausgehen, wo der Stein
hineingeworfen ist.
Hippolyt Schinner kehrte mit dem Bilde in seine Werkstatt
zurück.
Daß eine
Leinwand bereits auf der Staffelei lag, daß die
Palette bereits mit
Farben bedeckt war, daß er die
Pinsel
gereinigt,
zurechtgelegt, und das
richtige Tageslicht gewählt hatte,
brauchen wir
wohl nicht erst zu sagen. Bis zur
Essenszeit arbeitete er
an dem Bilde mit jenem Eifer, den die
Künstler bei
allen ihren
Launen beweisen. Abends besuchte er
wieder die Baronin
von
Rouville und blieb von neun bis elf Uhr; außer
eine
Abwechslung in den
Gegenständen der
Unterhaltung, glich
dieser Abend
in allem dem
vorhergehenden. Die
beiden alten
Herren erschienen wieder
zu derselben
Stunde; es wurde
abermals Pikett gespielt, dieselben
Redensarten
wurden von den
Spielern ausgesprochen; selbst die verlorene Summe war
die
nämliche; nur war
Hippolyt etwas
kühner und wagte mit
dem
jungen Mädchen zu
plaudern. So vergingen acht Tage, während
deren die Gefühle des
Malers und
Adelaidens jene
wonnigen und
süßen
Umbildungen erfuhren, durch die die
Herzen zu einem
vollkommenen
Verständnis geführt
werden. Der Blick, mit dem
Adelaide den Maler
empfing, wurde von Tag zu Tag inniger,
vertrauensvoller, heiterer und
offenherziger, ihre
Stimme, ihr
Benehmen nahm etwas
Vertrauliches und Inniges
an. Beide lachten,
plauderten, teilten sich ihre
Gedanken mit und
sprachen über sich
selbst mit der
Unschuld zweier Kinder, die
in einem Tage mit ihrer
Bekanntschaft soweit gediehen, als
hätten
sie
einander seit drei
Jahren gekannt.
Hippolyt spielte
Pikett, aber
wie der Greis
verlor auch er fast alle Partien. Ohne
sich noch ihre Liebe gestanden zu haben,
wußten die
beiden
Liebenden schon, daß sie
einander angehörten. Hippolyt hatte mit Glück
eine gewisse Macht über seine
schüchterne Freundin erlangt und
manche
Zugeständnisse waren ihm durch
Adelaide gemacht, die furchtsam und ergeben
war, und durch jenes falsche Schmollen getäuscht wurde,
dessen Geheimnis
auch der am wenigsten
gewandte Liebhaber, die
kindlichste Jungfrau besitzt
und
fortwährend anwendet, gleich wie
verhätschelte Kinder die Macht
mißbrauchen,
die ihnen die Liebe ihrer
Mütter verleiht. Jene
Vertraulichkeit zwischen
dem Edelmanne und
Adelaide hörte
infolgedessen auf. Das junge Mädchen
hatte
natürlicherweise die
Traurigkeit des
Malers erraten und alle die
Gedanken, die in den
Falten seiner Stirn verborgen waren oder
sich verrieten durch den
kurzen Ton der wenigen Worte, die
er
sprach, wenn der Greis ohne
Umstände Adelaidens Hände oder
Hals küßte.
Fräulein Leseigneur verlangte auch
ihrerseits von ihrem Liebhaber
eine strenge
Rechenschaft über seine
geringsten Handlungen. Sie war so
unglücklich, so besorgt, wenn
Hippolyt nicht kam; sie
verstand so
allerliebst zu
zanken, daß der Maler seine Freunde nicht mehr
besuchte und alle anderen
Gesellschaften vermied.
Adelaide ließ die dem
weiblichen Geschlecht angeborene Eifersucht durchblicken, als sie
erfuhr, daß
Hippolyt,
wenn er sich um elf Uhr von Frau von
Rouville
entfernte, bisweilen noch in den
glänzendsten Salons von Paris Besuche
abstattete. Anfangs gab sie vor, daß diese Lebensart für die
Gesundheit nachteilig sei; dann fand sie
Gelegenheit, ihm mit jener
tiefen Überzeugung, der der Ton, das
Benehmen und der Blick
einer geliebten
Person soviel Gewalt verleihen, zu sagen, "daß ein
Mann, der
verpflichtet sei,
zwischen so
vielen Frauen seine Zeit
und die Anmut
seines Geistes zu
zersplittern, keiner wahrhaft innigen
Zuneigung fähig sei". Nun wurde
Hippolyt sowohl durch den
Despotismus
der
Leidenschaft, wie durch die
Anforderungen des liebenden
jungen Mädchens
veranlaßt, nur in
dieser kleinen Wohnung zu leben, in der
ihm alles
gefiel. Kurz, nie gab es eine reinere und
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