Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 14
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Gräfin von
Vaudremont richtete, der
deutlich sagte: "Wir
sprechen von
Ihnen." Dann fuhr sie fort: "Ich denke, daß Sie den
Namen der
Unbekannten lieber aus dem Munde der schönen
Gräfin
hören
werden, als aus dem
meinigen." Die Haltung der
Herzogin
war so
herausfordernd, daß Frau von
Vaudremont sich erhob, zu
ihr kam, sich auf den Stuhl
setzte, den ihr Martial
anbot, und dann, ohne auf ihn zu
achten, lachend sagte:
"Ich
errate, meine Dame, daß Sie von mir
sprechen, aber
ich muß meine
Schwäche anerkennen und
gestehen, daß ich nicht
erkenne, ob Sie Gutes oder Böses von mir reden." Frau
von Marigny drückte mit ihrer trockenen und
verschrumpften Hand die
hübsche Hand der
jungen Dame und
antwortete mit
leiser Stimme
und im Tone des
Mitleids: "Arme
Kleine!" Die
beiden Frauen
blickten einander an. Frau von
Vaudremont begriff, daß der Baron
von Martial
überflüssig sei und
verabschiedete ihn mit einem
gebieterischen
Blick, der ihm sagte: "Verlassen Sie uns
augenblicklich!" Den
Requêtenmeister
freute es wenig, die
Gräfin von den Künsten der
gefährlichen
Sybille gefesselt zu sehen und
richtete einen jener
männlichen Blicke
auf sie, die so viel Macht über ein liebendes Herz
besitzen, aber auch einer Frau so
lächerlich erscheinen, wenn sie
kalt gegen den
geworden sind, in den sie
verliebt war.
"Wollen Sie
vielleicht dem
Kaiser nachäffen?..." sagte Frau von
Vaudremont
und
wandte ihren Kopf, um den
Requêtenmeister spöttisch anzusehen. Er
kannte die Welt zu gut, besaß zu viel
Feinheit und
guten Geschmack, als daß er sich einem Bruch mit der
hübschen Kokette hätte aussetzen
wollen; überdies rechnete er auf die
Eifersucht, die er bei ihr
erwecken wollte, als auf das
beste
Mittel, das Geheimnis ihrer
plötzlichen Kälte zu entdecken. Er
entfernte sich umso
williger, als in
diesem Augenblick ein neuer
Contretanz alle
Tänzerinnen in
Bewegung setzte. Die
heiteren Töne des
Orchesters erklangen und man hätte die
durcheinander wogende Menge mit
einer Wolke
tausendfarbiger Schmetterlinge vergleichen können, die sich bei dem
harmonischen Konzert der Vögel eines
Gebüschs über einer Waldwiese erheben.
Der Baron
schien den
antretenden Quadrillen zu weichen und stützte
sich auf den
Marmor einer Konsole. Er kreuzte die Arme
über der Brust und blieb
einige Schritte vor den
beiden
Damen
stehen, die sich
heimlich miteinander unterhielten. Von Zeit zu
Zeit
folgte er den Blicken, die beide
wiederholt auf die
Unbekannte richteten, und der Baron
befand sich in einer
schrecklichen
Unentschlossenheit, während er die
Gräfin mit jener neuen Schönheit
verglich,
die noch mehr gehoben wurde durch das Geheimnis, das sie
umgab. Er schwankte, ob er ein reicher Mann
werden oder
eine Laune
befriedigen solle. Der Glanz der Lichter ließ so
kräftig das
schwermütige und düstere Antlitz unter
seinen schwarzen
Haaren
hervorstechen, daß man ihn mit einem bösen Geist hätte
vergleichen
können, und mehr als ein
fernstehender Beobachter mochte sich wohl
sagen, "Der arme
Teufel scheint auch nicht zu
seiner Freude
hier zu sein!" Die
rechte Schulter leicht an die
vergoldete
Einfassung der Tür
zwischen dem
Spielzimmer und dem Tanzsaale
gestützt,
konnte der
Oberst unbemerkt
lachen. Er
freute sich über den
berauschenden Lärm des
Balles. Er sah hundert hübsche Köpfe, die
je nach den
Launen des
Tanzes hin und her schwebten.
Er las in manchen Zügen,
ebenso wie in denen der
Gräfin und
seines Freundes Martial, die
Geheimnisse der
Seelen. Dann
wandte er sein Gesicht und
verglich das düstere
Aussehen des
Grafen Soulanges, der noch immer in dem Armstuhle saß, wo
er ihn verlassen hatte, mit den sanften und klagenden Zügen
der
unbekannten Dame, auf deren Antlitz
abwechselnd die Freuden der
Hoffnung und die Angst eines
unwillkürliehen Schreckens erschienen. Der
glückliche
Kürassier hatte soviele
Geheimnisse zu erraten,
Reichtum von einer keimenden
Liebe zu
hoffen, die
Lehren zu
merken, die der gekränkte
Ehrgeiz gibt, das
Schauspiel einer
heftigen Leidenschaft zu
beobachten und
das Lächeln von hundert
hübschen Damen über Soulanges, Martial, die
Gräfin oder die
Unbekannte mit
seinen Blicken zu
erfassen, und
er war daher so
heiter, als sei er der König
des
Festes. Das
lebhafte Bild gab ihm ein
vollkommenes Gleichnis
der Welt und des
Lebens; aber er
lachte, ohne daß
er
hinter das Wesen
dieser Dinge zu
kommen versucht hätte.
Es war etwa
Mitternacht, und die
Unterhaltungen, das Spiel, der
Tanz, die
Selbstsucht, die Bosheit und die
verschiedenartigsten Pläne, alles
war auf jenem
Siedepunkt angelangt, wo sich einem
jungen Manne
der Ruf
entringt: "Es ist doch eine hübsche Sache um
einen Ball!..." "Mein kleiner Engel," sagte Frau von Marigny zu
der
Gräfin, "ich bin weit älter, als ich scheine, denn
ich zähle
fünfundsechzig Jahre; ich habe fast ein
Jahrhundert gelebt.
Sie, meine Liebe,
stehen jetzt in einem Alter, in dem
ich tausend
Fehler begangen habe, und da ich Sie jetzt
bittere
Qualen erdulden sah, so fiel es mir ein, Ihnen
einige liebevolle Winke zu geben. Wer
Fehler im
zweiundzwanzigsten Jahre
begeht, verdirbt sich dadurch seine Zukunft,
zerreißt das Kleid, das
er erst
anziehen soll. Ach, meine Liebe, wir
lernen erst
zu spät uns des
Gewandes zu
bedienen, ohne es zu
zerknittern.... Fahren Sie fort, mein schönes Kind, sich
redliche Feinde
zu
machen und
diejenigen als Freunde zu
erwerben, die den
Geist der Welt nicht
besitzen, und Sie
sollen sehen, was
für ein
angenehmes Leben Sie
führen werden!"... "Ach,
Herzogin, es
macht uns recht viel Mühe, glücklich zu
werden! Nicht wahr?"
rief die
Gräfin kindlich aus. "Meine
Kleine, man muß es
nur verstehen, in Ihrem Alter
zwischen dem Vergnügen und dem
Glück die Wahl treffen zu
können. Hören Sie mich an!
Sie
wollen Martial
heiraten. Er ist aber auf der einen
Seite nicht dumm genug, um ein Ehemann zu
werden, und
auf der anderen Seite nicht gut genug, um sie glücklich
zu
machen. Er hat
Schulden, meine Liebe!... Er ist ganz
der Mann, der Ihr
Vermögen verzehren
könnte. Er ist ein
Ränkeschmied, der sich
ausgezeichnet in die Geschäfte
einleben kann, er
weiß
angenehm zu
plaudern, aber er besitzt zu viele
Vorteile,
als daß er ein
wahres Verdienst haben
wollte. Er wird
nicht weit gehen.
Überdies, sehen Sie ihn nur an!...
Werfen
Sie nur einen Blick auf ihn!... Liest man es nicht
auf
seiner Stirn, daß er in
diesem Augenblick keineswegs das
hübsche junge Weib sieht, sondern nur die
Besitzerin von zwei
Millionen?... Er liebt Sie nicht, meine Liebe; er berechnet Sie,
als ob es sich um eine
Multiplikation handelte. Wenn Sie
sich
verheiraten wollen, so
nehmen Sie einen bejahrten Mann, der
zugleich Ansehen genießt. Eine Witwe darf ihre
Wiederverheiratung nicht zu
einem
Geschäft der Liebe
machen. Fängt man je eine Maus
zweimal in derselben Falle? Jetzt muß ein neuer
Kontrakt eine
Spekulation sein, und wenn Sie sich
wieder verheiraten, so
müssen
Sie dabei
wenigstens die
Hoffnung haben, sich
dereinst Frau
Marschallin
nennen zu hören!" In
diesem Augenblick richteten sich die Augen
der
beiden Damen natürlich auf das hübsche Antlitz des
Obersten.
"Wollen Sie die
schwierige Rolle einer Kokette spielen und sich
nicht
wieder verheiraten ..." fuhr die
Herzogin gutmütig fort; "ach,
meine arme
Kleine, dann verstehen Sie
besser als jede
andere,
die
Wolken eines
Ungewitters zu
häufen und auch
wieder zu
zerstreuen.... Allein ich beschwöre Sie,
machen Sie sich nie eine
Freude daraus, den ehelichen Frieden zu
stören, die Eintracht der
Familien und das Glück der
glücklichen Frauen zu
vernichten. Ich
habe diese
gefährliche Rolle
gespielt, meine Liebe ... und etwas
zu spät habe ich
erkennen gelernt, daß, wie jener
Diplomat
gesagt hat, ein Lachs
besser ist als tausend Frösche! Ja,
meine Liebe, um einen Triumph der
Eigenliebe zu
feiern, meuchelt
man oft arme
tugendhafte Geschöpfe; denn es gibt
wirklich tugendhafte
Frauen, meine Liebe.
Lernen Sie
einsehen, daß eine wabrhafte Liebe
tausendmal mehr Genüsse gewährt, als die
vergänglichen Leidenschaften, die man
erregt. Gewiß, ich bin
hierhergekommen, um Ihnen eine Predigt zu
halten.... Ja, Sie, mein guter kleiner Engel, sind die Ursache,
weshalb ich in
diesem Salon
erschienen bin, der nach Pöbel
stinkt. Sieht man hier nicht sogar
Schauspieler?... Man empfing diese
Leute auch sonst, meine Liebe, aber in
seinem Boudoir; in
einem Salon
jedoch, pfui!... Ja, ja, sehen Sie mich nicht
so
erstaunt an.--Hören Sie mich an!
Wollen Sie über die
Männer lachen," fuhr die alte Dame fort, "so
begeistern Sie
nur die
Herzen derer, die keine feste
Bestimmung haben, die
keine Pflichten zu
erfüllen haben.... Das ist eine Lehre, die
ich
meiner alten Erfahrung
verdanke; nutzen Sie
dieselbe. Dieser arme
Soulanges zum
Beispiel, dem Sie den Kopf
verdreht haben, den
Sie seit
fünfzehn Monaten, Gott weiß wie, berauscht haben ...
ihn haben Sie für sein
ganzes Leben
unglücklich gemacht. Er
ist
verheiratet. Er wird von einem kleinen Weibe angebetet, das
er auch
liebte, aber getäuscht hat. Soulanges
leidet zuweilen an
Gewissensbissen, die grausamer sind, als seine Freuden süß waren, und
Sie, kleiner
Schlaukopf, haben ihn getäuscht!
Kommen Sie nun und
sehen Sie Ihr Werk!" Die alte
Herzogin faßte die Hand
der Frau von
Vaudremont, und beide erhoben sich. "Sehen Sie!"
sagte Frau von Marigny zu ihr, indem sie mit den
Augen auf die bleiche und zitternde
Unbekannte zeigte. "Das ist
meine
Nichte, die
Gräfin Soulanges!... Sie hat heute endlich
meinen
Bitten nachgegeben und ihr
Schmerzenszimmer verlassen, in dem ihr der
Anblick ihres
Kindes nur einen sehr schwachen Trost gewährt.... Sehen
Sie sie an.... Sie erscheint Ihnen reizend.
Beurteilen Sie nun,
was sie
damals war, als Glück und Liebe noch ihren
Glanz über
dieses jetzt
gewelkte Antlitz
verbreiteten!" Die
Gräfin wandte
schweigend das Haupt und
schien in ernstes
Nachdenken versunken. Die
Herzogin führte sie
allmählich bis an die Tür des
Spielzimmers,
blickte
hinein, als suche sie
jemand, und sagte dann mit
einer fast
geisterhaften Stimme zu der
jungen Kokette: "Und dort
sehen Sie Soulanges!..." Die junge und glänzende
Gräfin schauderte zusammen
als sie in der am wenigsten erhellten Ecke des
Spielzimmers
ein
bleiches und
verzerrtes Antlitz erblickte. Herr von Soulanges hatte
sich in den,
Armstuhl zurückgelehnt. Die
Erschlaffung seiner Glieder und
die
Bewegungslosigkeit seiner Stirn
deuteten auf einen hohen Grad des
Schmerzes. Er war
allein. Die Spieler kamen und
gingen an
ihm vorüber, ohne ihm mehr
Aufmerksamkeit zu
widmen, als einem
leblosen Wesen. Er war in der Tat mehr ein
Schatten,
als ein
Mensch. Der Anblick der
trauernden Gattin und des
düstern und
finstern Gatten, die
inmitten dieses Festes von
einander
getrennt waren, wie die
beiden Hälften eines durch den Blitz
getroffenen Baumes, erfüllte die
Gräfin mit
großem Schrecken und böser
Vorahnung. Sie fürchtete ein Bild
dessen zu sehen, was die
eigene Zukunft für sie
aufbewahrte. Ihr Herz war noch nicht
so weit verhärtet, daß ihm
Empfindsamkeit, und Nachsicht
gänzlich fremd
geworden, und sie
preßte die Hand der
Herzogin, während sie
ihr mit einem
freundlichen Lächeln
dankte, in dem eine gewisse
kindliche Anmut lag. "Mein Kind," sagte ihr jetzt die alte
Frau ins Ohr,
"bedenken Sie
fortan, daß wir es
ebenso
gut verstehen
müssen, die
Huldigungen der
Männer von uns zu
weisen, als sie zu
erlangen...."-- "Sie
gehört Ihnen, wenn Sie
kein
Dummkopf sind!" Diese Worte flüsterte Frau von Marigny dem
Obersten ins Ohr, während sich die
schöne Gräfin ganz dem
Mitleid
hingab, das der Anblick des Herrn von Soulanges ihr
einflößte. Sie
liebte ihn noch
aufrichtig genug, um ihn
seinem
Glücke wiedergeben zu
wollen, und im
Herzen versprach sie sich,
die
unwiderstehliche Macht
anzuwenden, die ihre
Verführungskünste noch auf ihn
ausübten, um ihn in die Arme
seiner Frau
zurückzuführen. "O!
die
Strafreden, die ich ihm
halten werde!..." sagte sie zu
Frau von Marigny. "Sie
werden das nicht tun, meine
Schöne,
wie ich hoffe!" sagte die
Herzogin, während sie sich zu
ihrem
Armstuhl zurückbegab. "Wählen Sie sich dagegen einen
braven Ehemann
und
verschließen Sie
meinem Neffen die Tür. Vermeiden Sie, ihm
in
Gesellschaften zu
begegnen, und wenn er von
seiner Krankheit
geheilt ist, so
bieten Sie ihm Ihre
Freundschaft.... Glauben Sie
mir, mein Engel, eine Frau
empfängt nie von einer anderen
Frau das Herz ihres
Mannes. Sie wird
hundertmal glücklicher sein,
wenn sie glauben kann, es durch sich
selbst wiedererlangt zu
haben, und ich
glaube, meiner Nichte ein
herrliches Mittel gewährt
zu haben, durch das sie die
Freundschaft ihres
Mannes wiedererlangen
kann, indem ich sie
hierherführte.--Ich verlange keine
andere Mithilfe von
Ihnen, als daß Sie
unsern schönen
Kürassier-Oberst mit
Neckereien der
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