Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 4
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vor dem letzten Bilde angelangt waren, "aber ich gab ihm
viertausend dafür."--"Einen Tizian für
viertausend Francs?" sagte der Maler mit
erhobener
Stimme; "aber das wäre ja
geschenkt!"--"Wie ich Ihnen sagte.
Ich besitze hier für
zusammen hunderttausend Taler
Bilder!" rief
Vervelle.
"Alle diese
Bilder habe ich
gemalt," sagte
Pierre Grassou ihm
ins Ohr, "und ich habe für alle
zusammen nicht mehr
als
zehntausend Francs bekommen." "Beweisen Sie mir das," sagte der
Flaschenhändler, "und ich werde die Mitgift
meiner Tochter
verdoppeln, denn
dann sind Sie ja
Rubens, Rembrandt,
Terborch, Tizian in einer
Person!" "Und unser Magus ist ein
höchst talentierter Bilderhändler!" meinte
der Maler, der nun endlich begriff, warum seine
Bilder im
Laden des Elias ein so
merkwürdiges Aussehen bekamen und weshalb
der Alte immer so
sonderbare Motive von ihm
verlangt hatte.
Wollte man nun
annehmen, daß Herr von
Fougères--auf diesen Namen
bestand seine
Familie--bei seinen Bewunderern an
Hochachtung eingebüßt hätte, so
irrte man darin. Sein Ansehen stieg über alles Maß. Die
Porträts der Familie
Vervelle führte der
Glückliche aber nun
unentgeltlich
aus und brachte sie
seinem Schwiegervater, seiner Schwiegermutter und
seiner
jungen Gattin als
Geschenk dar....
Pierre Grassou, der heute bei
keiner Ausstellung fehlt, gilt in der Welt der
Kleinbürger als
ein guter
Porträtmaler. Er hat ein Einkommen von
zwölfhundert Francs
im Jahre und bekleckst für
fünfhundert Francs Leinwand. Seine Frau
hat eine jährliche Rente von
sechstausend Francs als Mitgift
bekommen
und die
Eheleute wohnen im Hause der Schwieger-
eltern. Die
Vervelles und die
Grassous verstehen sich ganz
ausgezeichnet miteinander; sie
halten sich eine
gemeinsame Equipage und sind die
glücklichsten Menschen
von der Welt. Wo
Pierre Grassou in
bürgerlicher Sphäre eine
Gesellschaft besucht, wird er als der
größte Künstler seiner Zeit
gefeiert. Von der
Barrière du Trône bis zur Rue du
Temple wird kein
Familienbild in Auftrag gegeben, das nicht
dieser
große Maler
ausführt und sich mit
mindestens fünfhundert Francs bezahlen
läßt. Fragt man die
Bürger, warum sie
gerade ihm den
Vorzug geben, so antworten sie: "Man mag sagen, was man
will, er ist ein Mann, der im Jahre seine zwanzig-
tausend
Francs zum Notar
bringt!" Da Grassou sich bei den
Aufständen am 12 Mai trefflich
gehalten hatte, wurde er zum
Offizier der
Ehrenlegion ernannt. Er ist
Bataillonschef der
Nationalgarde. Es
blieb nicht aus, daß das
Museum von
Versailles einem so
ausgezeichneten Staatsbürger ein
Schlachtengemälde in Auftrag gab.
Fougères trug seine
Freude vor ganz Paris zur Schau und
erzählte seinen ehemaligen
Kameraden, die ihm
begegneten, mit
gleichgültiger Miene: "Der König hat
ein
Schlachtengemälde bei mir
bestellt." Frau von
Fougères, die ihren
Gatten mit zwei Kindern beschenkt hat, betet ihn an. Ein
ausgezeichneter Gatte und guter Vater ist
dieser Maler, aber er
kann nicht den
schmerzlichen Gedanken verwinden, daß die
Künstler sich
über ihn
lustig machen, sein Name in den
Ateliers nur
als
abschreckendes Beispiel genannt wird, die
Presse sich nicht mit
seinen Werken beschäftigt. Doch er
arbeitet unentwegt
weiter und hegt
die
Hoffnung, daß man ihn in die
Akademie aufnehmen werde.
Und, ein Akt
herzerfreuender Rache, den berühmten
Malern kauft er,
wenn sie in
Geldverlegenheit sind, ihre
Bilder ab. Auf diese
Weise tauscht er die elenden
Schinken der Galerie in Ville
d'Avray aus gegen wirkliche
Meisterwerke, die nicht von ihm stammen.
Es gibt eine köstliche
Stunde für
Herzen, die sich
leicht
öffnen, für frische
Herzen, die stets jung und
zärtlich bleiben,
und diese
Stunde, die
unbestimmteste und
veränderlichste von allen, aus
denen ein Tag besteht, beginnt in dem
Augenblick, wo es
noch nicht Nacht und nicht mehr Tag ist. Die
Abenddämmerung
wirft ihre
matten Färbungen und
wunderlichen Beleuchtungen auf alle
Gegenstände,
und süße
Träumereien entstehen dann, während Licht und
Dunkelheit miteinander
kämpfen. Das Schweigen, das fast stets während
dieses an
Inspirationen
reichen
Augenblickes herrscht, macht ihn besonders den
Dichtern, Malern und
Bildhauern teuer. Sie sammeln sich,
treten ein wenig von ihren
Werken zurück, und da sie nicht mehr daran
arbeiten können,
so
beurteilen sie sie und
berauschen sich mit Wonne an
ihren
Schöpfungen, deren ganze Schönheit sich vor dem inneren Auge
ihres
Genius entfaltet. Derjenige, der noch nie während
dieses Augenblicks
in poetische
Träumereien versunken neben einem Freunde saß, wird nur
schwer die
unnennbaren Wohltaten desselben begreifen. Infolge des
Halbdunkels verschwindet
der
materielle Trug, den die Kunst
anwendet, um an die
Wirklichkeit des
Lebens glauben zu
machen. Der
Schatten wird dann
Schatten, Licht ist Licht, das Fleisch wird
lebendig, die Augen
leuchten, Blut
fließt durch die Adern und die
Gewänder der
gemalten Figuren
scheinen zu
rauschen. Die
Einbildungskraft kommt auf
wundersame
Weise zu Hilfe, um an die
Natürlichkeit der
Einzelheiten glauben
zu
machen; man sieht nur noch die Schönheit des Werks,
und wenn es sich um ein Gemälde handelt, so scheint
es uns, als ob die
dargestellten Personen redeten und sich
bewegten. Despotisch herrscht in
dieser Stunde die
Illusion; sie
erhebt
sich mit der Nacht. Und ist sie für den
Verstand
nicht eine Art von Nacht, an die wir so gern
glauben? Die
Illusion hat dann Schwingen, sie führt den Geist
in die Welt der
Phantasien, in eine Welt, die fruchtbar
an
wollüstigen Launen ist, und in welcher der
Künstler ganz
und gar die wirkliche Welt vergißt, die
Vergangenheit, die Zukunft,
sogar sein Elend. In
dieser magischen
Stunde war es, als
ein
junger Maler, ein
talentvoller Mann, der in der Kunst
nur die Kunst
selbst erblickte, die
Doppelleiter bestiegen hatte, deren
er sich
bediente, um ein
großes und hohes Gemälde zu
entwerfen, das bereits zu einem
großen Teile vollendet war. Er
beurteilte sich jetzt
selbst, bewunderte sich
aufrichtig, überließ sich dem
Strome seiner Gedanken und versank in eine jener
Ueberlegungen, die
das Herz entzücken und erheben, die ihm
schmeicheln und es
trösten. Seine Träumerei dauerte ohne Zweifel lange Zeit; die Nacht
erschien, und sei es nun, daß er von
seiner Leiter
herabsteigen wollte, sei es, daß er eine
unvorsichtige Bewegung machte,
indem er sich auf
ebener Erde glaubte, denn das
Ereignis
erlaubte ihm nicht, sich genau an die
Ursachen seines Unglücks
zu
erinnern.... Er fiel. Sein Kopf
schlug gegen einen
Sessel,
so daß er das
Bewußtsein verlor und eine Zeit lang
regungslos liegen blieb. Wie lange er in
diesem bewußtlosen Zustande
verblieb, konnte er
selbst nicht angeben. Eine
sanfte Stimme erweckte
ihn aus der Betäubung, in die er versunken war. Als
er die Augen aufschlug, drang ein so lebhaftes Licht durch
die Lider, daß er sie
sogleich wieder schließen mußte. Nun
vernahm er durch den
Schleier hindurch, der seine Sinne
gewissermaßen
umhüllte, das
Gespräch zweier weiblichen Personen, und
fühlte jugendliche schüchterne
Hände sein Haupt
betasten. Als er dann sein
Bewußtsein vollkommen
wiedergewonnen, vermochte er beim
Schein einer
altmodischen Lampe das wonnigste
Köpfchen eines
jungen Mädchens zu
unterscheiden, das er je gesehen
hatte, einen von jenen
Köpfen, die man oft für eine
Laune des Pinsels
halten möchte, der aber für ihn sein
schönes Ideal plötzlich
verwirklichte, denn jeder
Künstler hat ein Ideal,
und daher eben
entspringt sein
Talent. Das Antlitz der
Unbekannten
gehörte
gewissermaßen zu dem
feinen und
zarten Typus der
Schule
von Prudhon und besaß
überdies jene
phantastische Poesie, mit der
Girodet seine Gestalten bekleidet hat. Die Frische der
Schläfen, die
Regelmäßigkeit der
Brauen, die
Reinheit der
Linien, die in allen
Zügen
dieser Physiognomie kräftig
ausgeprägte Jungfräulichkeit machten
gewissermaßen eine
vollendete
Schöpfung aus dem
jungen Mädchen. Es hatte einen schlanken und
geschmeidigen Wuchs, hatte zarte
Formen. Die
einfache und saubere
Kleidung
deutete weder auf
Reichtum noch auf Armut. Als der junge
Maler die Besinnung
wiedererlangt hatte, drückte er seine
Bewunderung durch
einen Blick der
Überraschung aus und stotterte verlegene Worte des
Dankes. Er fand seine Stirn mit einem
Taschentuch umwunden und
erkannte trotz des Geruchs, der den
Malerwerkstätten eigen ist, den
starken Duft des
Äthers, der ohne Zweifel angewandt war, um
ihn aus
seiner Ohnmacht zu
wecken. Dann
bemerkte er endlich
auch noch eine alte Dame, die den Marquisen des
Ancien
Regime glich, die eine Lampe hielt und der
jungen Dame
Ratschläge gab. "Mein Herr,"
antwortete das junge Mädchen auf eine
der
Fragen, die der Maler an sie
richtete, während seine
Gedanken noch von dem Falle
verwirrt waren, "meine
Mutter und
ich, wir
hörten den dumpfen Fall eines Körpers in Ihrem
Zimmer und
glaubten darauf, ein Seufzen zu
unterscheiden; die
schreckliche
Stille, die
darauf folgte, veranlaßte uns, zu Ihnen
herauf zu
eilen. Wir
fanden den Schlüssel in der Tür und erlaubten
uns,
einzutreten, worauf wir Sie
bewegungslos auf der Erde
liegen
sahen. Im
ersten Augenblick fürchteten wir für ihr Leben. Meine
Mutter holte
sogleich alles, was für eine Kompresse und zu
Ihrer
Wiederbelebung nötig war. Sie sind an der Stirn
verletzt
... hier ...
fühlen Sie's?" "O! es hat
nichts zu
sagen ..." versetzte die alte
Mutter. "Ihr Kopf ist zum
Glück auf die
Gliederpuppe gefallen." "Ich fühle mich schon
wieder
besser," antwortete der Maler, "und
bedarf nur eines
Wagens, um
nach
meiner Wohnung
zurückzukehren. Die
Türschließerin wird mir einen
besorgen...."
Er
wollte seinen Dank gegen die
beiden Unbekannten wiederholen, wurde
aber bei jedem Worte von der alten Dame
unterbrochen, die
zu ihm sagte: "Mein Herr, vergessen Sie nicht,
morgen Blutegel
anzusetzen oder sich schröpfen zu
lassen.... Trinken Sie
einige Tassen
Arnikatee...." Das junge Mädchen schwieg. Es
betrachtete auf
verstohlene Weise
den Maler und die Gemälde der
Werkstätte; in
seiner Haltung
und
seinen Blicken lag eine
vollkommene Schicklichkeit. Seine Neugierde glich
nur der
Zerstreuung, und seine Augen
schienen jenen
Anteil auszudrücken,
den das weibliche
Geschlecht an jedem
Unglücklichen nimmt. Die
beiden
Unbekannten schienen die Werke des
Malers zu vergessen, während sie
in Gegenwart des leidenden
Malers waren, und als er sie
hinsichtlich seiner Lage
ermutigt hatte,
gingen sie, indem sie sich
nach manchem noch mit einer sanften Besorgnis
erkundigten, die
jedoch
fern von jeder
Vertraulichkeit blieb. Sie richteten keine
unbescheidenen Fragen
an ihn und suchten nicht, in ihm den
Wunsch zu
erwecken, seine
Retterinnen kennen zu
lernen. In allen ihren
Handlungen
lag eine seltene
Natürlichkeit, ein guter Geschmack, und wenn auch
ihr edles und einfaches
Benehmen für den
Augenblick wenig Wirkung
auf den Maler
hervorbrachte, so
überraschte es ihn doch lebhaft,
als er sich hinterher die
Einzelheiten dieses Auftritts in sein
Gedächtnis zurückrief. Als die alte Dame in das Stockwerk
hinabgestiegen
war, das sich unter der
Werkstätte des
Malers befand, sagte
sie mit sanfter
Stimme: "Adelaide, Du hast die Tür offen
gelassen." "Um mir zu Hilfe zu
kommen!" antwortete der Maler
mit einem Lächeln des Danks. "Meine
Mutter! Sie sind zuletzt
unten gewesen!..."
entgegnete das junge Mädchen
errötend. "Sollen wir Sie
hinunter begleiten?..."
fragte die
Mutter den Maler, "die
Treppe ist
sehr
dunkel!" Die
beiden Damen blieben auf dem
Absatz der
Treppe stehen, leuchteten dem
jungen Manne und lauschten auf das
Geräusch seiner Schritte. Um zu begreifen, wie
überraschend und
unerwartet
dieser ganze
Auftritt für den Maler sein mußte,
dürfen wir
nur
bemerken, daß er erst seit wenigen Tagen seine Werkstatt
in einen
Dachraum dieses Hauses verlegt hatte, das in dem
dunkelsten, engsten und kotigsten Teile der Rue de Surèsne lag,
unweit der
Magdalenenkirche, und ebenfalls
unfern seiner Wohnung, die sich
in der Rue des
Champs-Elysées befand. Die
Berühmtheit, die ihm
sein
Talent erworben und aus ihm einen der
beliebtesten Künstler
gemacht hatte, ließ ihn seine frühere Armut vergessen und so
kannte er die Not
allmählich nicht mehr. Statt daher fern
in einer jener
entlegenen Werkstätten in der Nähe der Barrièren
zu
arbeiten, deren
mäßige Miete
vordem im
Verhältnis zu der
Mäßigkeit
seines Verdienstes stand, hatte er einem Wunsche
genügt, der
mit jedem Tage bei ihm wach
geworden war, und die
näher
gelegene Werkstatt
gemietet, die ihm weitere Wege
ersparte und
somit einen Verlust der Zeit, die für ihn jetzt kostbarer
geworden war als je. Niemand in der Welt würde mehr
Teilnahme
eingeflößt haben, als
Hippolyt Schinner, wenn er sich dazu
hätte verstehen
können, sich zu
erkennen zu geben;
allein er
offenbarte nicht gern die
Geheimnisse seines Lebens. Er war der
Abgott einer armen
Mutter, die sich
selbst die härtesten
Entbehrungen
aufgelegt hatte, um ihn
erziehen zu
können. Jungfer
Schinner, die
Tochter eines
Bauern im Elsaß, war nie
verheiratet gewesen. Ihr
empfindsames Herz war grausam
geknickt durch einen reichen Mann, der
in der Liebe nicht sehr
zartfühlend war. Der Tag, an
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