Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 3
<<<
die
Morgensonne seine
Mansarde. Während er dem Vater des
jungen
Mädchens behilflich war, die
richtige Stellung zum
Porträtieren einzunehmen, erfreute
er sich an dem
gutmütigen Ausdruck dieses Mannes und
bewunderte
die violetten
Farbtöne dieses Gesichts. Mutter und Tochter
flatterten um
den Maler herum und
beobachteten voller Entzücken seine
Vorbereitungen; er
erschien ihnen wie ein Gott.
Fougères gefiel sich in
dieser
Bewunderung. Das
goldne Kalb
strahlte sein
phantastisches Licht über diese
Familie. "Sie
müssen unheimliche Summen verdienen, nicht wahr?" sagte die
Mutter. "Aber Sie geben das Geld
wahrscheinlich ebenso schnell, wie
Sie es verdienen,
wieder aus." "Nein, gnädige Frau," erwiderte der
Maler, "ich gebe es nicht aus, denn ich wüßte nicht,
wozu. Mein Notar
arbeitet mit dem Gelde und führt Buch
darüber; und
sobald ich es ihm gegeben habe, denke ich
nicht mehr daran." "Ich habe mir sagen
lassen," rief Papa
Vervelle, "Ihr
Künstler wäret wie die Siebe." "Aber nein, wie
komisch!"
lachte Vervelle. "Cardot ist auch unser Notar." "Aber so
bleibe doch ruhig," rief die
Gattin. "Du wirst
schuld sein,
wenn der Herr einen
Fehler macht. Du
solltest ihn nur
bei der
Arbeit sehen, so würdest Du verstehen...." "Ach Gott!
Warum habt Ihr mich nicht im Malen
unterrichten lassen!" sagte
Fräulein Vervelle zu den
Eltern. "Virginie," rief die
Mutter, "es
gibt gewisse Dinge, die ein
junges Mädchen nicht
kennen darf.
Bist Du erst
einmal verheiratet--gut! Aber bis dahin gib Dich
zufrieden." Diese erste Sitzung genügte, um den
ehrenwerten Künstler mit
der Familie
Vervelle schon recht
befreundet werden zu
lassen. In
zwei Tagen sollten die Vervelles
wiederkommen. Vater und
Mutter ließen
Virginie auf dem Heimweg ein wenig
vorausgehen, aber trotz der
Entfernung erlauschte sie
folgende Worte, die ihre Neugier erweckten: "Ein
dekorierter Mann ...
siebenunddreißig Jahre ... ein
Künstler mit Aufträgen,
dessen Geld von
unserm Notar verwaltet wird ... wie wäre
es, wenn wir
Cardot zu Rate zögen? Ha!
Madame de
Fougères wäre nicht übel!... Er sieht nicht aus wie ein
übler
Mensch.... Du
meinst, besser ein
Großhändler? Aber bei einem
Kaufmann kannst Du, wenn er sich nicht bereits vom
Geschäft
zurückgezogen hat, nie
wissen, wie es
Deiner Tochter ergehen wird.
Ein sparsamer
Künstler dagegen ...
außerdem lieben wir die Kunst
... kurz und gut...." Während die Familie
Vervelle ihre Eindrücke
über den Maler
austauschte, bildete sich auch
Fougères seinerseits sein
Urteil über die drei. Aber das Atelier war ihm zu
eng und still dazu. Er begab sich auf die
Straße
und
musterte die
rothaarigen Frauen unter den
Vorübergehenden, wobei er
die
seltsamsten Schlußfolgerungen zog: Gold sei das
schönste der Metalle,
und die gelbe Farbe
kennzeichne das Gold, die Römer liebten
Frauen mit goldrotem Haar und er fühle wie ein Römer
... und
dergleichen mehr. Welcher Mann kümmert sich, nach zwei
Jahren der Ehe noch um die Haarfarbe
seiner Frau? Schönheit
vergeht, aber die
Häßlichkeit besteht. Geld ist der halbe Weg
zum Glück. Als der Maler
abends zur Ruhe ging, fand
er
Virginie Vervelle bereits
entzückend. Als die drei Vervelles zur
zweiten Sitzung das Atelier
betraten, empfing der Maler sie mit
einem
liebenswürdigen Lächeln. Der
Schelm hatte heute
seinem Bart besondere
Aufmerksamkeit gewidmet; seine
Wäsche war
blütenweiß; anmutig hatte er sein
Haar
geordnet, und er trug eine sehr kleidsame Hose und
puterrote
Hausschuhe. Sein Gruß wurde von der Familie ebenfalls mit
einem
gewinnenden Lächeln
beantwortet. Virginie, die so rot wurde wie
ihr Haar,
senkte die Augen und
wandte den Kopf ab,
als
versenke sie sich in die Studien.
Pierre Grassou war
von
diesen kleinen
Zierereien entzückt; er fand
Virginie graziös und
glücklicherweise weder ihrem Vater noch ihrer
Mutter ähnlich. Während der
Sitzung
entspann sich eine angeregte
Unterhaltung zwischen der Familie und
dem Maler, der so kühn war, den Vater
Vervelle geistvoll
zu
finden. Die Vervelles
nahmen mit ihren
Schmeichelworten das Herz
des Künstlers im Sturm. Er
schenkte Virginie eine
seiner Skizzen
und der
Mutter eine
Studie. "Umsonst?" fragten sie.
Pierre Grassou
mußte
lachen. "Sie
dürfen Ihre
Bilder nicht so
wegschenken," sagte
Vervelle, "das ist doch so gut wie bares Geld."-- Bei
der dritten Sitzung
erzählte Papa
Vervelle von einer schönen
Gemäldegalerie,
die er sich in
seinem Landhaus in Ville d'Avray
zugelegt
habe. Sie
enthalte Werke von
Rubens, Gèrard Dou,
Mieris, Terborch,
Rembrandt, Paul
Potter, einen
Tizian und anderes. "Herr
Vervelle hat
sich eine Torheit geleistet," sagte Frau
Vervelle sehr wichtig, "er
besitzt für
hunderttausend Francs Bilder."--"Ich bin eben
Kunstliebhaber," sagte der
ehemalige
Flaschenhändler. Als der Maler das Porträt der Frau
Vervelle
begann, nachdem das ihres
Gatten nahezu vollendet war, fand die
Bewunderung der Familie kein Ende. Der Notar hatte von dem
Maler eine
geradezu glänzende
Schilderung gegeben:
Pierre Grassou war in
seinen Augen der
ehrenwerteste Mann der Welt, einer der
bestsituierten
Künstler, der sich bis jetzt
sechsunddreißigtausend Francs zusammengespart habe; die
Tage des
Elends seien für ihn
vorbei, er habe eine
Jahreseinnahme von
zehntausend Francs; alles in allem, es sei
ausgeschlossen,
daß er eine Frau
unglücklich machen werde. Diese
Schlußbemerkung fiel
entscheidend in die Wagschale. Die Vervelles
unterhielten ihre Freunde nur
noch mit
Gesprächen über den berühmten
Fougères. An dem Tage,
da
Fougères das Bild
Virginiens in Angriff nahm, galt er
schon als der
zukünftige Schwiegersohn der Familie. Die drei Vervelles
blühten und
gediehen in der
Atmosphäre dieses Ateliers, das sie
nun schon als eine ihrer
Residenzen ansahen. Eine
unerklärliche Anziehungskraft
ging von
diesem sauberen, freundlich geordneten Raum auf sie aus.
Abyssus,
abyssum--der Bürger zieht den
Bürger an. Als die Sitzung
zu Ende ging,
erzitterte die
Treppe unter
heraufstürmenden schweren Schritten.
Die Türe wurde
aufgerissen und Josef
Bridau trat ein. Er
war erhitzt und aufgeregt, seine Haare
wehten, sein
dicker Schädel
glühte. Wie
Blitze flogen seine
Blicke umher und er
wirbelte
alles im Atelier
durcheinander, um sich dann plötzlich an Grassou
zu
wenden, während er versuchte, den über den Bauch
zusammengezogenen
Rock
zuzuknöpfen, was nicht
gelang, da von dem
betreffenden Knopf
nur noch der leere
Stoffüberzug vorhanden war. "Das Holz ist
teuer," sagte er zu Grassou. "Die Gläubiger sind
hinter mir
her.... Aber sag, malst Du dies Zeug da?" Familie
Vervelle
fühlte sich durch das
ungewöhnliche Auftreten
dieses Menschen im
tiefsten
verletzt. Ihre
natürliche Röte steigerte sich ins
Kirschfarbene und endlich
zu
flammendem Purpur. "Allerdings, so etwas
bringt was ein!"
begann
Bridau wieder. "Hast Du Geld?"
"Fünfhundert.... Ich bin einem
Bluthund
von
Wucherer in die
Finger gefallen. Wenn so eine
Bestie
einmal zugepackt hat, so läßt sie nicht
locker, bis sie
den
Bissen geschluckt hat.
Welche Rasse!" "Nun, dann weiß ich
doch
wenigstens, warum Du die
Wangen mit
Rosentönen malst, die
einen Parfümeur
begeistern würden." Grassou
konnte es nicht
verhindern, daß
er
errötete. Virginie verzog das Gesicht. "Warum
hältst Du Dich
nicht an die Natur?" fuhr der große Maler fort. "Das
Fräulein ist
rot--nun also, ist denn das so schlimm? In
der Kunst ist alles schön. Tu
Zinnober auf Deine Palette
und
belebe die
Wangen damit. Pinsele getrost die kleinen braunen
Tüpfelchen hin und gib dem
Ganzen etwas mehr Fettglanz.
Willst
Du mehr Geist haben als die Natur?" "Hier...." sagte
Fougères,
"Du
kannst mich ja solange vertreten, während ich
schreibe." Vervelle
schob
seinen Kugelkörper leise an den Tisch heran und
beugte
sich zum Ohr des
Malers herab.
"Dieser Brausekopf wird aber
doch alles verderben!" flüsterte der
besorgte Kaufmann. "Wenn er das
Bild Ihrer
Virginie malte," erwiderte
Fougères entrüstet, "so würde es
tausendmal besser als meine
Arbeit." Auf diese
Auskunft hin zog
Vervelle sich
vorsichtig wieder zurück und begab sich an die
Seite
seiner Frau, die über
diesen Berserker einfach sprachlos war
und sich nur
höchst beunruhigt darüber
zeigte, daß er an
dem Porträt ihrer Tochter
herumwerkelte. "So--halte Dich an diese Angaben,"
sagte
Bridau, als er die Palette gegen das Schreiben
eintauschte.
"Ich danke Dir nicht
weiter! Nun kann ich doch nach
Chateau
d'Arthey zurückkehren, wo ich einen
Speisesaal auszuführen habe; Leon
de Lora macht die
Türfüllungen. Wahre
Meisterwerke! Du
solltest uns
einmal besuchen!" Er ging ohne Gruß; er hatte von dem
Anblick Virginies genug
bekommen. "Wer ist denn
dieser Mensch?" fragte
Madame Vervelle.--"Ein großer Künstler," antwortete Grassou. Nach einer
Minute des
Schweigens fragte Virginie: "Sind Sie auch
sicher, daß er an
meinem Bilde
nichts verdorben hat? Er hat mich
erschreckt!" "Er
hat es
verbessert," antwortete Grassou.--"Wenn dieser ein
großer Künstler ist,"
sagte
Madame Vervelle, "so muß ich doch sagen, daß ich
die
großen Künstler Ihrer Art
vorziehe."--"Aber Mama, Herr Grassou ist
doch ein viel
größerer Maler; er malt mich in
ganzer
Figur," plapperte
Virginie. Diese
braven Leute fühlten sich durch die
Allüren des
Genies vor den Kopf
gestoßen.-- Es war im
Spätsommer, als
Vervelle sich ein Herz faßte und den Maler
zum
nächsten Sonntag auf sein
Landhaus einlud. "Ich weiß ja,"
sagte er
bescheiden, "daß wir
Bürgersleute einem
Künstler nicht viel
Anziehendes bieten können. Die
Künstler brauchen Anregung, Schaugepränge und eine
Umgebung geistvoller Personen. Bei mir
werden Sie
nichts finden als
einen guten Wein; ich hoffe aber auch, daß meine
Gemäldegalerie
Ihnen hilft, die
Langeweile zu
verscheuchen, die einen
Künstler wie
Sie unter so einfachen
Leuten befallen könnte." Es entzückte den
armen
Pierre Grassou, der so wenig an
Lobeserhebungen gewöhnt war,
sich so
gefeiert zu sehen.
Dieser gütige Mensch, dieser kaum
mittelmäßige Künstler, dies goldene Herz, diese treue Seele,
dieser miserable
Zeichner und brave Junge, den der
königliche Orden der
Ehrenlegion
zierte, warf sich in Gala, um die letzten schönen Tage
des
Jahres in Ville d'Avray zu
genießen. Er fuhr
bescheiden
im Omnibus. Das
Schlößchen des
ehemaligen Flaschenhändlers, das auf der
Höhe von Ville d'Avray, dem schönsten Punkt der Ortschaft,
mitten
in einem fünf
Morgen großen Park lag, erregte
Grassous höchste
Bewunderung. Virginie heiraten, hieß also, eines Tages
Besitzer dieser schönen
Villa
werden! Von den Vervelles wurde er mit so
begeisterter
Freude, Liebenswürdigkeit und
ungeschickter Herzlichkeit aufgenommen, daß er sich
beschämt
fühlte. Es war ein Tag des Triumphes für ihn. In
den zu Ehren des hohen
Besuches sorgfältig geharkten Wegen
führte
man seine
Zukunftspläne spazieren. Sogar die Bäume sahen aus, als
ob sie gekämmt
worden wären. Die
Rasenplätze waren
frisch gemäht.
Durch die reine
Landluft schwebten
verheißungsvoll wunderbare Küchengerüche herüber. Alles
im Hause
schien sich
zuzuflüstern: "Wir haben einen
großen Künstler
zu Gast!" Papa
Vervelle kugelte wie ein Apfel durch
seinen
Park, die Tochter
schlängelte sich wie ein Aal daher, und
die
Mutter folgte mit
wichtigtuerischer Miene
hinterdrein. Unermüdlich beschäftigten die
drei Leute sich ohne
Unterbrechung sieben Stunden lang um ihren
Gast. Auf das Diner, das sich in
seiner köstlichen Reichhaltigkeit
sehr in die Länge zog,
folgte der große Coup des
Tages, die
Besichtigung der Galerie. Drei
Nachbarn, ehemalige Kaufleute, ein
Erbonkel, den man zu Ehren des
großen Künstlers
eingeladen hatte,
ein altes
Fräulein Vervelle und die Gastgeber
selbst folgten dem
Maler in die Galerie. Sie waren alle
begierig, sein
Urteil
über die
berühmte Sammlung des kleinen Papa
Vervelle zu hören
und über den
fabelhaften Wert der
Bilder Gewißheit zu
erlangen.
Es
schien, daß der
Flaschenhändler mit König Louis Philipp und
den
Galerien von
Versailles hatte
wetteifern wollen. An den kostbaren
Rahmen waren
kleine Täfelchen
angebracht, die auf
goldenem Grund
schwarze
Aufschriften trugen. Sie
lauteten: "Rubens, Tanz der Faune und
Nymphen."--"Rembrandt,
Inneres eines
Anatomiesaales.--Dr. Tromp mit
seinen Schülern." Die Galerie wurde
durch
Lampen erhellt, die besondere
Beleuchtungseffekte erzielen sollten. Sie
enthielt
hundertfünfzig alte,
verstaubte Gemälde. Vor einigen
hingen grüne
Vorhänge, die
man in Gegenwart der
jungen Leute
geschlossen ließ. Der
Künstler
stand da, die Arme
verschränkt und mit offenem Munde; er
war sprachlos: in
dieser Galerie fand er die
Hälfte seiner
eigenen
Bilder wieder. Rubens, Paul
Potter, Mieris, Gerard Dou,--zwanzig der
größten Meister waren Werke
seiner Hand. "Mein Gott! Was fehlt
Ihnen? Wie
bleich Sie
geworden sind! Schnell ein Glas
Wasser,
Kind!" rief
Mutter Vervelle. Der Maler zog Papa
Vervelle am
Rockknopf in einen
Winkel der Galerie, unter dem Vorwand, einen
Murillo
betrachten zu
wollen; die
Bilder der Spanier waren
damals
in Mode. "Sagen Sie, haben Sie diese Gemälde bei Elias
Magus erstanden?" --"Ja,
lauter Originale!" "Unter uns
gesagt, zu welchem
Preise hat er Ihnen
diejenigen verkauft, die ich Ihnen jetzt
bezeichnen werde?" Sie machten
nebeneinander einen
Rundgang durch den Raum.
Die Gäste waren
entzückt davon, mit welchem Ernst der
Künstler
sich an der Seite
seines Gastgebers dem Studium der
Meisterwerke
hingab. "Dreitausend Francs!" sagte
Vervelle mit
flüsternder Stimme, als sie
>>>
Übersicht |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
16 |
17 |
18
nach oben