Honore de Balzac - Große und Kleine Welt - Seite 18
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Rechenschaft zu geben
wissen." "Da kommt er!"
riefen die Offiziere
aus, als sie den Hauptmann atemlos
zurückkehren sahen. "Zum
Teufel!"
versetzte
Falcon, "der ist,
glaube ich, über die Mauer
gesprungen.
Ein
Hexenmeister kann er nicht sein, also muß er hier
ins Haus gehören! Der kennt hier alle Wege und
Schliche,
deswegen ist er mir so
leicht entgangen."
"Beruhige Dich,"
antwortete
ich, "wir
werden der Reihe nach bis zu
Deiner Abreise
bei Dir
wachen. Heute Abend begleiten wir Dich!" In der
Tat führten drei junge Offiziere, die ihr Geld beim Spiel
verloren hatten, den Chirurg in seine Wohnung
zurück, und einer
von ihnen erbot sich, bei ihm zu bleiben. Am zweiten
Tage
darauf hatte der Chirurg seine
Versetzung zu einem in
Frankreich stehenden Heere erlangt und traf alle
Vorbereitungen, um in
Gesellschaft einer Dame
abzureisen, die von Murat eine
starke Bedeckung
erhielt. Zuletzt speiste er noch
einmal in
Gesellschaft seiner Freunde,
als ihn sein Bedienter
benachrichtigte, daß eine junge Dame mit
ihm
sprechen wolle. Der Chirurg ging
sogleich mit drei
Offizieren
hinaus, da er
irgend eine Falle
befürchtete, und die
Unbekannte
konnte ihrem Geliebten nur noch zurufen: "Nimm Dich in acht!"
und stürzte tot
nieder. Es war die
Kammerfrau, die, als
sie sich vergiftet
fühlte, noch zur rechten Zeit
anzukommen gehofft
hatte, um den Chirurg zu
warnen. "Teufel, Teufel!" rief der
Hauptmann
Falcon aus, "das heißt
lieben. Aber auch nur eine
Spanierin kann noch zu ihrem Geliebten
laufen, wenn ihr der
Tod schon auf der Zunge sitzt." Der Chirurg versank in
tiefes Nachdenken. Um die
unheilvollen Vorgefühle, die ihn quälten, zu
ersticken,
setzte er sich
wieder an den Tisch und trank
unmäßig, wie auch seine Gäste taten. Als alle halb berauscht
waren, begaben sie sich
frühzeitig zur Ruhe.
Mitten in der
Nacht wurde der Chirurg durch ein
schrillendes Geräusch erweckt, das
von den
Ringen seiner Bettvorhänge herrührte, die
heftig an den
Stäben zurückgerissen wurden. Er
richtete sich von
seinem Lager auf
und war eine Beute jenes
mechanischen Zitterns, das uns bei
einem solchen
Erwachen zu ergreifen
pflegt. Da sah er vor
sich einen Spanier, der in einen
Mantel gehüllt war und
ihm denselben
Flammenblick zuwarf, der am Abend des
Balles durch
das
Orangengebüsch geleuchtet hatte. Der Chirurg
schrie auf: "Zu Hilfe,
zu Hilfe! Zu mir, meine Freunde!" Der Spanier
antwortete auf
dieses Angstgeschrei nur mit einem bittern Lächeln. "Das Opium
wächst
für jedermann!" versetzte er dann. Als er diese Worte
gesagt
hatte,
zeigte er auf die drei in
festem Schlaf liegenden
Freunde und zog dann unter
seinem Mantel einen
frisch abgeschnittenen
Frauenarm
hervor, den er mit einer lebhaften
Bewegung dem Chirurg
zeigte, um ihn auf ein Mal
aufmerksam zu
machen, welches
jenem ähnlich war, das
dieser so
unklugerweise beschrieben hatte. Beim
Scheine einer Laterne, die neben das Bett
gestellt war,
erkannte
der Chirurg den Arm
wieder und
antwortete durch sein Staunen.
Ohne weitere
Erörterungen senkte der Gatte der
Unbekannten seinen Dolch
in das Herz des Chirurgen."-- "Ihre Erzählung ist furchtbar
schwer
zu glauben," sagte ein Zuhörer zu dem
Erzähler. "Können Sie
mir wohl
erklären, wer sie Ihnen erzählt hat, ob der
Tote oder der Spanier?" "Mein Herr,"
antwortete der
Erzähler, "ich
habe den armen Mann
gepflegt, da er erst fünf Tage
später unter
schrecklichen Leiden starb. Zur Zeit des Feldzuges, der
unternommen wurde, um Ferdinand VII.
wieder einzusetzen, wurde ich zu
einem
Posten in Spanien ernannt, kam aber
glücklicherweise nicht
weiter,
als nach Tours, denn man
machte mir
Hoffnung auf die
Einnehmerstelle von
Sancerre. Am Abend vor
meiner Abreise war ich
auf einem Ball bei Frau von Listomére, wo sich auch
mehrere
angesehene Spanier
eingefunden hatten. Als ich den
Spieltisch verließ,
bemerkte ich einen
spanischen Grande, einen
Afrancesado im Exil, der
seit
fünfzehn Tagen in der
Touraine angekommen war. Erst sehr
spät war er zu
diesem Ball
gekommen. Er
erschien zum
ersten Male vor
Leuten und
besuchte die
Salons in
Begleitung
seiner Frau, deren Arm
durchaus unbeweglich war. Wir
wichen schweigend
auseinander, um
dieses Paar
hindurchgehen zu
lassen, das wir nicht
ohne tiefe
Bewegung sahen. Denkt Euch, ein
lebendiges Gemälde von
Murillo. Unter gewölbten und schwarzen
Brauen zeigte der Mann ein
starres
Flammenauge; sein Antlitz war
eingefallen, und sein
kahler Scheitel
zeigte glühende Tinten; sein
Körper war so leidend, daß man
ihn nur mit Beben ansehen
konnte. Und diese Frau! Man
kann sie sich gar nicht
vorstellen, ohne sie gesehen zu
haben. Sie hatte jenen
bewunderungswürdigen Wuchs, für den die spanische
Sprache ein
besonderes Wort
geschaffen hat;
obgleich bleich, war sie
noch immer schön; ihre
Gesichtsfarbe war
blendend, infolge eines für
eine Spanierin sonst
unerhörten Privilegiums; aber aus ihren Blicken
strahlte
die ganze Sonne
Spaniens, und sie
trafen den, der sie
ansah, wie
geschmolzenes Blei. "Meine Dame,"
fragte ich die Dame
gegen Ende der
Soirée, "durch welchen
Zufall haben Sie Ihren
Arm
verloren?"
ENDE
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